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Die Tochter der Hexe

Die Tochter der Hexe

Titel: Die Tochter der Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Mettel, von den beiden Artisten. Über allem schwebte die Angst vor dem Augenblick, in dem sie Benedikt Hofer zum ersten Mal gegenüberstehen würde.
    Marusch hatte angeboten, sie zu begleiten.
    «Ich stehe bei den Aufführungen ohnehin nur dumm herum, weil Leo mich nicht spielen lässt – von meiner albernen Tanzeinlage abgesehen.» Sie zwinkerte ihr zu. «Vielleicht wird sich das ja eines Tages auch einmal ändern. An den Höfen Italiens werden die weiblichen Rollen längst von Frauen gespielt. Schon vor dreißig Jahren gab es dort eine berühmte Schauspielerin namens Isabella Andreini.» Sie seufzte. «Da stehe ich und schwatze, und du siehst ganz elend aus. Aber glaub mir: So wie es kommt, so kommt es,da beißt die Maus keinen Faden ab. Uns bleibt nur, das Beste aus allem zu machen.»
    Doch Marthe-Marie war entschlossen, allein zu gehen.
    «Ich nehme Agnes mit mir, das wird mir Mut machen. Und jetzt muss ich an die Arbeit.»
    Sie rief die Kinder zum Holzsammeln und schärfte ihnen ein, nicht zu nah an das Ufer zu kommen, denn die Kinzig führte von der Schneeschmelze im Schwarzwald hohes Wasser. Anschließend stellte sie mit Mettel die Gestänge für die Wasserkessel auf.
    Die Alte schien zu bemerken, dass sie nicht bei der Sache war.
    «Du denkst daran, dass heute dein letzter Abend ist, nicht wahr?»
    Marthe-Marie nickte.
    Mettel warf die frischen Karotten in die Suppe, die sie wie immer unterwegs vom Feld geklaut hatte. «Wirklich schade, dass du uns verlässt. Aus deinen zwei linken Händen sind eine linke und eine rechte geworden. Und überhaupt: Du hättest eine von uns werden können, das Zeug dazu hast du.»
    An diesem Abend war die Stimmung gedrückt. Caspar, der älteste der Komödianten, war noch schweigsamer als sonst, der gutmütige Lambert und seine Frau Anna unterhielten sich nur im Flüsterton, der Prinzipal kaute lustlos an seinem Brot, und Jonas starrte, ohne zu essen, vor sich hin. Selbst die Kinder wagten nicht zu toben.
    Marthe-Marie sah hinüber zu Diego, dessen Blick sie gespürt hatte. Er begann zu lächeln, aber seine grünen Augen blieben ernst. Sie stand auf und räusperte sich.
    «Das ist mein letzter Abend bei euch, und ich möchte mich bei euch allen bedanken. Nur weiß ich nicht, wie ich meinen Dank ausdrücken soll. Worte sagen so wenig.»
    «Dann lass es.» Der Prinzipal stand ebenfalls auf und nahm sie in seine fleischigen Arme. Nacheinander kamen alle aus der Truppe und umarmten Marthe-Marie, zuletzt Diego.
    «Wem soll ich denn jetzt meine Geschichten erzählen?»
    «Falls ich bei meinem Vater bleibe, besuche ich jede eurer Aufführungen. Dann sehen wir uns, solange ihr in Offenburg seid.»
    Diegos Gesicht war ernst. «Das ist kein guter Einfall. Verabschiede dich von uns oder bleib mit uns zusammen. Eins von beiden.» Dann verließ er die Feuerstelle in Richtung Fluss.
    Blieb noch Jonas. Ihr Beschützer und ihr Lebensretter. Seit dem Fest vor zwei Tagen hatten sie nicht mehr über das, was in Freiburg vorgefallen war, gesprochen. In jener Nacht hatte Jonas tatsächlich durchgesetzt, dass der Prinzipal Wachen aufstellen ließ, auch für die folgende Nacht. Fast schien Jonas besorgter als sie selbst, denn Marthe-Marie redete sich mit Erfolg ein, dass die nächtliche Gestalt vielleicht gar nichts mit ihr zu tun hatte. Dass sie den Fremden beim ersten Mal hatte hinken sehen, wie einst Hartmann Siferlin, schrieb sie nun ihrer Phantasie zu. Marusch sah das ebenso.
    «Dass wir abends oder nachts belauert werden, gibt es immer wieder. Da ist Gesindel unterwegs, das uns sogar das wenige, das wir besitzen, nehmen will. Manchmal sind es auch nur halb verrückte Gaffer, die meinen, wir würden nachts irgendwelchen magischen Beschwörungen nachgehen, uns alle miteinander wollüstig im Gras wälzen oder gestohlene Kinder schlachten.»
    Aber es war nicht nur Besorgnis, die sie in Jonas’ Gesicht lesen konnte. Es war auch Verlegenheit, wann immer sie sich allein begegneten. Lag es an dem Kuss? Sie war selbst ein wenig erschrocken gewesen, in jenem Augenblick. Weniger allerdings über den schüchternen Kuss als über ihr Bedauern, dass dieser flüchtige Moment der Zärtlichkeit so schnell vorüber war. Sie zwang sich, daran zu denken, wie jung Jonas war, ein Student noch, und dass er dieser Magdalena die Ehe versprochen hatte.
    Wie ein schlaksiger großer Junge hockte er nun auf dem Boden und riss Grashalme aus. Fast konnte sie nicht glauben, dass er in Momenten der Gefahr wenn nicht die

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