Die Tochter des Ketzers
Haar erzitterte – nur ihr Leib nicht. Wie starr stand sie, wie in Stein gehauen – und kurz hoffte sie, sie möge darum auch nichts spüren, als schließlich der eine seine schwielige Hand erhob und ihre Haut berührte. Aber ihr Leib war nur reglos, nicht tot. Er fühlte die Berührung, und mehr als das. Er fühlte die Schmerzen, die Erniedrigung, das Ausgeliefertsein von damals, von jenem Tag.
Der Griff verstärkte sich, das Lachen wurde lauter.
Wie einst hoffte sie verzweifelt auf die erlösende Ohnmacht, aber es wurde nicht schwarz vor ihren Augen, vielmehr war ihr, als würde ein greller Blitz aufzucken, in dessen hellem Licht sie plötzlich erkannte, was sie zu tun hatte. Sie plante es nicht, überlegte nicht, wie sie es anstellen sollte – sie tat es einfach.
Während sich die schwielige Hand um ihren Nacken legte, der Mann ganz dicht an sie herankam, sie seine Ausdünstungen förmlich schmecken konnte – da erblickte sie den Dolch, der in seinem Gürtel steckte, erblickte ihn und hatte ihn plötzlich in den Händen, gleich so, als hätte Magie gewirkt und sie nicht wirklich selbst zugepackt.
Beinahe erstaunt sah sie auf die Waffe, indessen der Mann erkannte, was geschehen war, zurückzuckte, halb ärgerlich, halb ängstlich sein Gesicht verzog.
Der andere brach in ein Kichern aus.
»Lass das, Mädchen!«, rief der Bestohlene.
Da packte Caterina den Dolch noch fester an seinem Griff; schlicht war jener, nicht mit Edelsteinen geschmückt, sondern aus einfachem Holz. Mit der scharfen Klinge durchschnitt sie die Luft, nicht mit sinnlos fuchtelnden Bewegungen, sondern klar und bestimmt.
»Fasst mich an, und ihr seid tot!«, rief sie.
»Raus, alle beide!«
Die Stimme durchschnitt die Stille wie der Dolch die Luft. Caterina konnte den Befehl nicht gleich deuten, wusste nicht, wer gemeint war, umkrampfte nur noch fester den Griff der Waffe.
Die beiden Männer fuhren herum, blickten Gaspare erstaunt an. »Aber ...«
»Ich sagte: Raus! Alle beide!«
Er meinte die Männer, nicht sie. Caterina dachte, ihre Knie würden vor Erleichterung einknicken. Das Bild verschwamm, kaum sah sie, wie die beiden Männer gingen, der eine knurrend, der andere beschämt. Ihr Geruch wurde schwächer, ihre Stimmen leiser. Weg, nur weg. Dann war sie in Sicherheit, in Sicherheit ...
Der Dolch begann in ihren Händen zu zittern. Sie wusste nicht, wohin damit, wollte ihn nicht hergeben und hatte doch plötzlich Angst vor der scharfen Klinge, eine Angst, die gerade noch von der viel größeren Furcht überdeckt gewesen war, die Männer könnten sich erneut an ihr vergehen.
Fast hoffte sie, Gaspare möge ihr die Waffe abnehmen, doch jener tat nichts dergleichen. Als sie zögernd hochblickte, gewahrte sie, dass er ihr den Rücken zugewandt hatte, kaum hatten die beiden Vertrauten den Raum verlassen.
»Lass den Dolch fallen!«, sagte er lediglich.
Der Stimme fehlte wieder alles Laute, wiewohl nicht das Schneidende. Caterina wusste nicht, ob es diese Stimme war oder die Tatsache, dass sie wieder mit ihm allein war – in jedem Falle begannen ihre Hände noch stärker zu zittern; augenblicklich entglitt ihnen der Dolch wie von selbst und ging krachend zu Boden.
Gaspare sagte nichts, drehte sich nicht einmal um.
»Warum«, fragte sie stammelnd, »warum hast du mir den Rücken zugewandt, obwohl ich noch diese Waffe hielt?«
Wieder blieb er stumm. So unbeweglich waren sein Rücken, seine Schultern, seine Hände, dass sie vermeinte, er würde nicht einmal atmen, und wiewohl sie wusste, dass kein Mensch ohne Luft zu leben vermochte, so dachte sie doch, dass es irgendwie zu ihm passen würde, nicht einmal das von der Welt zu nehmen.
Zögernd blickte sie auf den Dolch, den sie zu Boden hatte fallen lassen. Er war mit seiner Spitze stecken geblieben.
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ein Mädchen wie du mich meucheln könnte – und sei’s auch hinterrücks«, sprach er plötzlich, als wüsste er, wohin ihr Blick ging und dass sie zwar kein weiteres Mal nach der Waffe greifen würde, aber doch irgendwie bedauerte, sich nicht mehr mit ihr schützen zu können. Vorhin, als sie sich verteidigt hatte, so war dies unwillkürlich geschehen, der Kopf frei von sämtlichen Gedanken gewesen. Erst jetzt, da sie den Dolch abgegeben hatte, fühlte sie die Macht, die sie in diesem kurzen Augenblick in den zitternden Händen gehalten hatte.
»Im Kerker war es oft finster«, fuhr Gaspare fort, drehte sich nun endlich zu ihr um, bückte
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