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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Trauergottesdienst für Anthony und zugleich als
Gedenkfeier für die Seelen der Toten vom Brückeneinsturz.
    Godwyn sprach mit
niemandem über seine Hoffnungen. Erst vor zehn Tagen hatte er gelernt, was es
ihn kosten konnte, wenn er zu vorschnell war. Er war mit Timothys Buch und
schlagenden Argumenten für eine Reform ins Kapitel gegangen — und dann hatte
die alte Garde sich in derart perfektem Schulterschluss gegen ihn gestellt, als
hätten sie es vorher geprobt, und ihn wie einen Frosch unter einer Walze
zerquetscht.
    So etwas würde
Godwyn nie wieder passieren.
    Am Sonntagmorgen,
als die Mönche zum Frühstück ins Refektorium einzogen, flüsterte ein Novize
Godwyn zu, dass seine Mutter ihn am Nordportal der Kathedrale zu sehen wünsche.
Diskret schlich Godwyn sich davon.
    Er war besorgt, als
er leise durch Kreuzgang und Kirche ging. Er konnte sich denken, was geschehen
war: Gestern war irgendetwas passiert, das Petronilla Sorgen bereitete. Als sie
dann heute Morgen bei Sonnenaufgang aufgewacht war, hatte sie einen Plan
gehabt, und er, Godwyn, war Teil davon. Petronilla würde ausgesprochen
ungeduldig und herrisch sein. Ihr Plan war vermutlich gut … doch selbst wenn
nicht, würde sie darauf bestehen, dass ihr Sohn ihn ausführte.
    Petronilla stand im
Zwielicht des Nordportals. Ihr Mantel war nass; es regnete wieder. »Mein Bruder
Edmund ist gestern zum blinden Carlus gegangen«, begann sie. »Er hat mir
erzählt, dass Carlus so tue, als wäre er bereits Prior und die Wahl nur eine
Formalität.«
    Sie sprach mit
einem vorwurfsvollen Unterton, als wäre das alles Godwyns Schuld, und er
antwortete sich verteidigend: »Die alte Garde hat sich hinter Carlus gesammelt,
noch bevor Onkel Anthonys Leichnam kalt war. Sie wollen nichts von anderen
Kandidaten hören.« »Hm. Und die jungen Brüder?«
    »Die wollen
natürlich, dass ich antrete. Es hat ihnen gefallen, wie ich mich mit Timothys
Buch dem Prior Anthony entgegengestellt habe — obwohl ich überstimmt worden bin.
Aber ich habe noch nichts gesagt.«
    »Gibt es sonst noch
Kandidaten?«
    »Thomas Langley ist
der Außenseiter. Ein paar missbilligen ihn, weil er früher Ritter war und
Menschen erschlagen hat, wie er selbst gesteht. Aber er ist ein durchaus
fähiger Mann, erfüllt seine Aufgaben gut, schikaniert niemals die Novizen … «
    Seine Mutter
schaute nachdenklich drein. »Kennst du seine Geschichte? Warum ist er Mönch
geworden?«
    Godwyns Sorgen
ließen ein wenig nach. Offenbar wollte seine Mutter ihn nicht seiner Tatenlosigkeit
wegen beschimpfen. »Thomas sagt nur, dass er sich schon immer nach einem
frommen Leben gesehnt habe, und als er mit einer Schwertwunde hier eintraf, hat
er beschlossen, nie wieder fortzugehen.«
    »Ich erinnere mich.
Das war vor zehn Jahren. Aber ich habe nie gehört, wie und wo er sich diese
Wunde zugezogen hat.«
    »Ich auch nicht. Er
redet nicht gerne über seine Vergangenheit.«
    »Wer hat für seine
Aufnahme in die Priorei bezahlt?« »Seltsamerweise weiß ich das nicht.« Godwyn
staunte oft über die Fähigkeit seiner Mutter, enthüllende Fragen zu stellen.
Sie mochte ja eine Tyrannin sein, aber er konnte nicht umhin, sie zu bewundern.
»Es könnte Bischof Richard gewesen sein — ich weiß noch, dass er die übliche
Spende zugesagt hat —, aber persönlich hat er gewiss nicht die Mittel dafür
gehabt. Damals war er noch kein Bischof, nur Priester. Vielleicht hat er für Graf
Roland gesprochen.« »Finde es heraus.«
    Godwyn zögerte.
Dafür würde er alle entsprechenden Urkunden in der Klosterbibliothek durchsehen
müssen. Der Bibliothekar, Bruder Augustine, würde sich zwar nicht herausnehmen,
das Vorgehen des Mesners zu hinterfragen, jemand anders aber schon. Und dann
würde Godwyn in die Verlegenheit geraten, sich eine glaubwürdige Geschichte
ausdenken zu müssen, um sein Tun zu erklären. Falls es sich bei der Spende um
Geld gehandelt hatte und nicht um Land oder anderen Besitz — was ungewöhnlich,
aber möglich war —, würde er überdies die Bücher durchgehen müssen, und …
    »Was ist?«, fragte
seine Mutter in scharfem Ton.
    »Nichts. Du hast
recht.« Godwyn rief sich ins Gedächtnis, dass die herrische Art seiner Mutter
bloß ein Zeichen ihrer Liebe zu ihm war, nur dass sie diese Liebe eben nicht
anders auszudrücken vermochte. »Es muss doch irgendwelche Aufzeichnungen
darüber geben«, sinnierte Godwyn. »Wenn ich so darüber nachdenke …

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