Die Tore der Welt
schlagen ist. Ein Kandidat,
der die alte Garde vertritt, gleichzeitig aber ein paar kleine Reformen
ankündigt, würde viel eher gewinnen.« Godwyn bemerkte, dass er nicht so
vorsichtig und zurückhaltend war, wie er es beabsichtigt hatte, und so fügte er
rasch hinzu: »Aber ich weiß nicht… Was denkst du?« »Ich denke, du bist ein
Genie«, antwortete Theodoric.
Ich bin kein Genie,
dachte Godwyn, aber ich lerne schnell.
Er begab sich ins
Hospital, wo er Philemon beim Putzen der Privatgemächer im Obergeschoss antraf.
Herr William war noch immer da. Er wachte über seinen Vater und wartete darauf,
ob Graf Roland leben oder sterben würde. Lady Philippa war bei ihm. Bischof Richard
war in seinen Palast in Shiring zurückgekehrt, wurde aber für das Hochamt
zurückerwartet.
Godwyn führte Philemon
in die Bibliothek. Philemon konnte kaum lesen, aber er konnte ihm helfen, die
Urkunden herauszusuchen, die für Godwyn von Bedeutung waren.
Die Priorei besaß
mehr als hundert Urkunden. Die meisten waren Landüberschreibungen, größtenteils
im Umland von Kingsbridge, einige aber auch in weit entfernten Gegenden von
England und Wales. Des Weiteren gab es die Gründungsurkunde der Priorei, die
Erlaubnis, eine Kirche zu bauen und dafür kostenlos Steine aus den Steinbrüchen
des Grafen von Shiring zu holen sowie das Land um die Priorei in Grundstücke
aufzuteilen und zu verpachten. Auch war hier das Recht der Priorei verbrieft,
Gericht in Kingsbridge zu halten, einen Wochenmarkt zu haben, Brückenzoll
einzutreiben, einen jährlichen Wollmarkt abzuhalten und Güter über den Fluss
nach Melcombe zu verschiffen, ohne dafür Abgaben an die Herren der umliegenden
Ländereien entrichten zu müssen.
Sämtliche Dokumente
waren mit Feder und Tinte auf Pergament geschrieben — dünne Tierhäute, die
sorgfältig gesäubert, gebleicht und geglättet worden waren, um eine
Schreibfläche zu bieten. Größere Pergamente wurden gerollt und mit einem dünnen
Lederband zusammengebunden. Sie wurden in einer eisenbeschlagenen Truhe
aufbewahrt. Die Truhe war verschlossen, doch der Schlüssel befand sich in einem
kleinen Holzkästchen in der Bibliothek.
Godwyn runzelte
missbilligend die Stirn, als er die Truhe öffnete.
Die Dokumente waren
nicht sortiert, sondern scheinbar wahllos hinein geworfen worden. Ein paar
wiesen kleine Risse und ausgefranste Ränder auf, und alle waren verstaubt.
Eigentlich hätten sie nach Datum sortiert werden müssen, überlegte Godwyn. Man
hätte sie durchnummerieren und die Nummern in den Truhendeckel schreiben
sollen, um schneller finden zu können, was man suchte.
Wenn ich erst Prior
bin …
Philemon holte die
Dokumente nacheinander heraus, blies den Staub weg und legte sie für Godwyn auf
einen Tisch. Godwyn beobachtete ihn. Die meisten Leute mochten Philemon nicht,
und einige der älteren Mönche hatten sich zwar an ihn gewöhnt, misstrauten ihm jedoch.
Für Godwyn galt das nicht: Wie hätte er Philemon auch misstrauen können, wo der
ihn wie einen Gott verehrte?
Godwyn erinnerte
sich noch an den jungen Philemon — ein großer, linkischer, unbeholfener
Bursche, der ständig in der Priorei herumgelungert und die Mönche gefragt
hatte, zu welchem Heiligen man am besten beten solle und ob sie je ein Wunder
gesehen hätten.
Die meisten
Dokumente waren ursprünglich in zweifacher Ausfertigung auf einen einzelnen
Bogen Pergament geschrieben worden. Dann hatte man das Wort »Chirograph« in
großen Lettern zwischen die beiden Texte gesetzt und das Blatt anschließend im
Zickzack durch das Wort entzweigeschnitten. Beide Parteien behielten je eine
Hälfte des Dokuments; wenn die beiden gezackten Linien sich nahtlos
aneinanderlegen ließen, galt das als Beweis der Echtheit.
Ein paar der
Pergamentblätter hatten Löcher; vermutlich waren die Schafe, deren Haut dieses
Pergament einst gewesen war, an den betreffenden Stellen zu Lebzeiten von einem
Insekt gebissen worden. Andere Blätter schienen im Laufe ihrer Geschichte von
Mäusen angeknabbert worden zu sein.
Natürlich war alles
auf Latein verfasst. Die Dokumente neueren Datums waren einfacher zu lesen,
doch selbst Godwyn fiel es bisweilen schwer, eine ältere Handschrift zu
entziffern. Nun jedoch suchte er nach etwas, das kurz nach Allerheiligen vor
zehn Jahren geschrieben worden war.
Sorgfältig besah
Godwyn sich jedes einzelne Blatt, fand aber nichts.
Das Dokument, das
dem Gesuchten vom
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