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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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vollzogen sei, sobald Sir Thomas Langley als Mönch in die Reihen der
Brüder aufgenommen werde. Auch so etwas war üblich.
    Doch ein Punkt in
diesem Dokument war ganz und gar nicht üblich: Die Urkunde war von Königin
Isabella unterschrieben.
    Das war
interessant. Isabella war das untreue Weib von König Edward II. Sie hatte sich
gegen ihren königlichen Gemahl erhoben und an seiner statt ihren
vierzehnjährigen Sohn inthronisiert. Das Legat war kurz nach dem Tod des
abgesetzten Königs aufgesetzt worden, und Prior Anthony hatte damals an der Beerdigung
in Gloucester teilgenommen. Thomas war ungefähr zur gleichen Zeit ins Kloster
eingetreten.
    Ein paar Jahre lang
hatten die Königin und ihr Geliebter, Roger Mortimer, England regiert; aber
nach einiger Zeit war es Edward III. Trotz seiner Jugend gelungen, seinen
Herrschaftsanspruch durchzusetzen. Der neue König war jetzt vierundzwanzig und
hatte das Land fest im Griff. Mortimer war tot, und Isabella mit ihren nunmehr
zweiundvierzig Jahren lebte in Castle Rising, einem opulenten Altersruhesitz,
nicht weit entfernt von Lynn.
    »Das ist es!«,
sagte Godwyn zu Philemon. »Es war Königin Isabella, die dafür gesorgt hat, dass
Thomas Mönch werden konnte.«
    Philemon runzelte
die Stirn. »Aber warum?« Philemon war zwar ungebildet, aber schlau. »Ja,
warum?«, erwiderte Godwyn. »Vermutlich weil sie ihn entweder belohnen oder zum
Schweigen bringen wollte. Vielleicht auch beides.« »Er muss ihr irgendeinen
Dienst geleistet haben.« Godwyn nickte. »Vielleicht hat er ihr eine Botschaft
überbracht, ein Burgtor geöffnet, ihr die Pläne des Königs verraten oder ihr
die Unterstützung irgendeines wichtigen Barons gesichert — was auch immer. Aber
was ist so geheim an dieser Schenkung?« »Sie ist nicht geheim«, sagte Philemon.
»Der Schatzmeister muss davon wissen, und alle Einwohner von Lynn. Und wenn der
Vogt hierherkommt, muss er doch mit ein paar Leuten reden.« »Aber niemand weiß,
dass das Ganze für Thomas arrangiert worden ist … es sei denn, sie haben
dieses Dokument gesehen.«
    »Dann ist das also
das Geheimnis: dass die großzügige Spende bei Thomas‘ Eintritt in den Orden von
Königin Isabella gemacht wurde.« »Genau.« Godwyn packte die Dokumente wieder
zusammen und legte die Mappe in die Truhe zurück.
    Philemon fragte:
»Aber warum ist es ein Geheimnis? Es ist weder unehrlich noch schändlich. So
etwas kommt ständig vor.«
    »Ich weiß nicht,
warum es ein Geheimnis ist, und vielleicht müssen wir das auch gar nicht
wissen. Allein die Tatsache, dass einige Leute es weiterhin verbergen wollen,
könnte für unsere Zwecke schon reichen. Lass uns dieses Haus verlassen.«
    Godwyn war
zufrieden. Thomas hatte ein Geheimnis, und er, Godwyn, wusste davon. Das
verlieh ihm Macht. Nun fühlte er sich selbstbewusst genug, um Thomas als
Kandidaten für das Amt des Priors vorzuschlagen. Aber er machte sich auch
Sorgen: Thomas war kein Narr.
    Sie kehrten in die
Kathedrale zurück. Kurz darauf endete das Stundengebet, und Godwyn machte sich
daran, die Kirche für den großen Trauergottesdienst vorzubereiten. Auf seine
Anweisungen hin hoben sechs Mönche Anthonys Sarg auf ein Podest vor dem Altar
und stellten ringsum Kerzen auf. Einwohner der Stadt versammelten sich im
Hauptschiff. Godwyn nickte seiner Base Caris zu, die ihren Kopfputz mit
schwarzer Seide bedeckt hatte. Dann entdeckte er Thomas, der mit Hilfe eines
Novizen einen großen, geschmückten Stuhl herbeitrug. Es war der Bischofsstuhl,
Kathedra genannt, welcher der Kirche ihren besonderen Status als Kathedrale
verlieh.
    Godwyn berührte
Thomas am Arm. »Lass Philemon das erledigen.« Thomas zuckte unwillkürlich
zusammen, da er glaubte, Godwyn biete ihm seine Hilfe wegen des fehlenden Arms
an. »Ich komme schon zurecht.« »Das weiß ich. Ich will mit dir reden.«
    Thomas war älter —
er war vierunddreißig, Godwyn einunddreißig —, doch Godwyn stand in der
Klosterhierarchie über ihm. Thomas, der Matricularius, zeigte dem Mesner Godwyn
gegenüber für gewöhnlich die gebührende Achtung; dennoch hatte Godwyn das
Gefühl, als bekäme er gerade so viel Respekt, wie Thomas ihm zugestand, und
keinen Deut mehr. Obwohl Thomas sich in jeder Hinsicht den Regeln des heiligen
Benedikt unterwarf, schien er aus seinem früheren Leben ein gewisses Maß an
Unabhängigkeit mit in die Priorei gebracht zu haben, das er nie verloren hatte.
    Es würde nicht

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