Die Tore der Welt
Er tippte ihr mit dem Zeigefinger auf die
Schulter.
»Du siehst
glücklich aus.«
»Das bin ich auch.«
Sie lächelte. »Man könnte sagen, dass sich in meinem Bauch ein Liebesknoten
gelöst hat. Aber das würdest du natürlich nicht verstehen.«
»Natürlich nicht.«
Du hast ja keine Ahnung, dachte Godwyn, wie viele »Liebesknoten« es unter den
Mönchen gibt. Aber er schwieg: Laien blieben besser in Unkenntnis der Sünden,
die in der Priorei begangen wurden. Godwyn sagte: »Dein Vater sollte mit
Bischof Richard über den Wiederaufbau der Brücke reden.«
»Wirklich?«,
entgegnete Caris skeptisch. Als Kind hatte sie Godwyn verehrt wie einen Helden,
doch heutzutage hatte sie weniger Ehrfurcht vor ihm. »Was soll das nützen? Es
ist nicht seine Brücke.«
»Die Wahl der
Mönche muss vom Bischof gebilligt werden. Richard könnte durchsickern lassen,
dass er niemanden billigen würde, der es ablehnt, die Brücke wieder auf zu bauen.
Einige Mönche werden sich dem vielleicht widersetzen, andere jedoch werden sagen,
dass es sinnlos sei, für jemanden zu stimmen, dessen Wahl ohnehin nicht bestätigt
werden wird.«
»Ich verstehe.
Glaubst du wirklich, mein Vater könnte helfen?«
»Ganz bestimmt.«
»Dann werde ich es
ihm vorschlagen.« »Danke.« Die Glocke läutete. Godwyn schlüpfte aus der Kirche
und schloss sich der Prozession an, die sich im Kreuzgang sammelte. Es war
Mittag.
Er hatte an diesem
Morgen viel geschafft.
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KAPITEL 16
Wulfric und Gwenda
verließen Kingsbridge früh am Montagmorgen, um sich auf den langen Heimweg in
ihr Dorf zu machen.
Caris und Merthin
beobachteten, wie sie den Fluss auf Merthins neuer Fähre überquerten. Es freute
Merthin, wie gut der Mechanimus funktionierte. Die hölzernen Zahnräder würden
allerdings rasch abnutzen, das wusste er. Eisenräder wären besser, aber …
Caris hing weniger
technischen Gedanken nach. »Gwenda ist sehr verliebt«, seufzte sie.
»Sie hat keine
Chance bei Wulfric«, bemerkte Merthin.
»Das weiß man nie. Sie
ist ein entschlossenes Mädchen. Schau dir nur einmal an, wie sie Sim Chapman
entkommen ist.«
»Aber Wulfric ist
mit dieser Annet verlobt. Die ist viel hübscher.«
»Gutes Aussehen ist
in der Liebe nicht alles.« »Dafür danke ich Gott jeden Tag.« Caris lachte. »Ich
liebe dein komisches Gesicht.«
»Aber Wulfric hat
sich wegen Annet mit meinem Bruder geprügelt. Er muss sie lieben.« »Gwenda hat
einen Liebestrank.«
Merthin schaute sie
missbilligend an. »Dann hältst du es also für richtig, wenn ein Mädchen einen
Mann dazu verführt, sie zu heiraten, obwohl er eine andere liebt?«
Für einen Moment
fehlten Caris die Worte. Die weiche Haut an ihrem Hals färbte sich rosa. »So
habe ich das noch nie betrachtet«, sagte sie. »Ist das wirklich das Gleiche?«
»Es ist zumindest
ähnlich.«
»Aber sie verführt
ihn doch gar nicht. Sie will nur dafür sorgen, dass er sie liebt.«
»Das sollte sie
lieber ohne Trank versuchen.« »Jetzt schäme ich mich dafür, ihr geholfen zu
haben.« »Zu spät.« Wulfric und Gwenda stiegen am anderen Ufer bereits von der
Fähre. Sie drehten sich noch einmal um, winkten und machten sich dann mit Skip
im Schlepptau auf den Weg über die Straße und durch die Vorstadt.
Merthin und Caris
gingen zur Hauptstraße zurück. Caris sagte: »Du hast noch nicht mit Griselda
gesprochen.«
»Das tue ich jetzt.
Nur weiß ich nicht, ob ich mich freuen oder Angst davor haben soll.«
»Du hast nichts zu
befürchten. Sie hat gelogen, nicht du.« »Das stimmt.« Er betastete sein
Gesicht. Der blaue Fleck war fast verheilt.
»Ich hoffe nur,
dass ihr Vater nicht wieder gewalttätig wird.« »Willst du, dass ich dich
begleite?«
Merthin hätte sich
über ihre Unterstützung gefreut, doch er schüttelte den Kopf. »Ich habe dieses
Chaos verursacht, und jetzt muss ich es wieder richten.«
Sie blieben vor
Elfrics Haus stehen. Caris sagte: »Viel Glück.«
»Danke.« Merthin
hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, widerstand der Versuchung, sie noch
einmal zu küssen, und ging hinein.
Elfric saß am Tisch
und aß Brot und Käse. Ein Becher Bier stand vor ihm. Hinter ihm sah Merthin
Alice und die Zofe in der Küche.
Von Griselda war
keine Spur zu sehen.
Elfric fragte: »Wo
warst du?«
Merthin hatte
beschlossen, dass er auch furchtlos handeln sollte, wenn er schon nichts zu
befürchten hatte. Ohne Elfrics Frage zu beachten, wollte er wissen: »Wo
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