Die Tore der Welt
ihn ungerecht behandelt, doch unglücklicherweise war er nicht
ganz unschuldig daran.
Merthin schaute zur
Holzdecke hinauf — die Kirche hatte kein Steingewölbe — und sah ein mannsgroßes
Loch in dem bemalten Holz, ein düsteres Zeugnis davon, wie Howell ums Leben
gekommen war. Dort oben sei alles verrottet, sagten die Baumeister auf der
Beerdigung wissend. Aber sie sagten es nach dem Unfall; für Howell kam ihre
Weisheit zu spät. Nun war klar, dass das Dach zu schwach war, als dass es noch
instand gesetzt werden könnte. Es musste vollständig abgetragen und neu gebaut
werden. Das bedeutete, dass die Kirche geschlossen werden musste.
St. Mark war eine
arme Kirche. Ihr Stiftungsbesitz war nur sehr klein: ein einzelner Hof zehn
Meilen entfernt, der vom Bruder des Pfarrers bewirtschaftet wurde, womit der
arme Mann kaum die eigene Familie zu ernähren vermochte. Der Pfarrer, Vater
Joffroi, musste sich sein Einkommen also von den gut neunhundert Mitgliedern
seiner Gemeinde im armen Norden der Stadt sichern.
Jene, die nicht
wirklich mittellos waren, gaben dies meist trotzdem vor, sodass der Zehnte sich
nur auf eine bescheidene Summe belief. Vater Joffroi verdiente sich seinen
Lebensunterhalt mit Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, wofür er weit weniger
verlangte als die Mönche in der Kathedrale. Seine Gemeindemitglieder heirateten
früh, hatten viele Kinder und starben jung, sodass es genug für ihn zu tun gab.
So kam er einigermaßen zurecht. Aber wenn er die Kirche schließen musste,
würden seine Einkommensquellen versiegen, und er würde die Handwerker nicht
bezahlen können.
Das hatte zur
Folge, dass die Arbeiten am Dach ausgesetzt worden waren.
Howell hinterließ
eine junge Frau, die mit Caris befreundet war, und nun kam Caris mit der Witwe
und der trauernden Familie ins Gotteshaus. Merthin trat neben Caris und
erzählte ihr, was bei Elfric geschehen war.
Vater Joffroi, in
ein altes Gewand gekleidet, las die Messe, während Merthin sich über das Dach
den Kopf zerbrach. Es musste doch einen Weg geben, es abzureißen, ohne die
Kirche zu schließen!
Wenn ein Dach so
verrottet war, dass es die Arbeiter nicht mehr zu tragen vermochte, baute man
für gewöhnlich ein Gerüst um die Kirche herum, zerschlug die Dachbalken und
warf die Trümmer von oben ins Kirchenschiff hinein. Das Gebäude war dann
allerdings den Elementen ausgesetzt, bis das neue Dach fertig und gedeckt war.
Aber es musste
möglich sein, überlegte Merthin, eine bewegliche Hebebühne zu bauen, die an den
dicken Seitenwänden gesichert wurde. Dann könnte man die Dachbalken einen nach
dem anderen nach oben drücken, anstatt sie ins Kircheninnere zu werfen. Auf
diese Weise würde dann auch die Holzdecke erhalten bleiben.
Am Grab schaute
Merthin sich die Männer einen nach dem anderen an und fragte sich, wer von
ihnen ihn wohl anstellen würde.
Er beschloss, sich
zunächst an Bill Watkin zu wenden, den zweitgrößten Baumeister der Stadt und
nicht gerade ein Bewunderer von Elfric. Bill hatte einen kahlen Kopf mit einem
schwarzen Haarkranz, eine Art naturgegebene Mönchstonsur. Er baute die meisten
Wohnhäuser in Kingsbridge. Wie Elfric, so beschäftigte auch er einen Steinmetz,
einen Zimmermann, eine Handvoll Arbeiter sowie ein, zwei Lehrlinge.
Howell war nicht
sonderlich wohlhabend gewesen, und so wurde sein Leichnam in einem Tuch ins
Grab gelassen, ohne Sarg.
Nachdem Vater
Joffroi gegangen war, ging Merthin zu Bill Watkin. »Ich wünsche Euch einen
guten Tag, Meister Watkin«, sagte er förmlich.
Bills Antwort war
alles andere als freundlich: »Und, junger Merthin?«
»Ich bin nicht mehr
bei Elfric.«
»Das weiß ich«,
sagte Bill, »und ich weiß auch warum.« »Ihr habt aber nur Elfrics Seite der
Geschichte gehört.« »Ich habe alles gehört, was ich hören muss.«
Elfric hatte vor
und während des Gottesdienstes mit unterschiedlichen Leuten gesprochen,
erinnerte sich Merthin. In diesen Gesprächen hatte Elfric aber sicherlich
unerwähnt gelassen, dass er und seine Tochter versucht hatten, Merthin zum
Ersatzvater für Thurstans Kind zu machen. Doch nach Entschuldigungen zu suchen
würde ihm nicht weiterhelfen; das wusste Merthin. Es war besser, seine Dummheit
einzugestehen. »Ich weiß, dass ich einen Fehler begangen habe, und es tut mir
leid, aber ich bin noch immer ein guter Zimmermann.«
Bill nickte
zustimmend. »Die neue Fähre ist Beweis genug dafür.« Merthin
Weitere Kostenlose Bücher