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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ließ sie ihn ihre Beine sehen, die fest
und wohlgeformt waren; später, als das Gelände hügelig wurde, nutzte sie jede
noch so kleine Steigung als Vorwand, tief zu atmen und ihre Brust herauszudrücken.
Bei jeder Gelegenheit strich sie an Wulfric vorbei, berührte ihn am Arm oder
legte ihm die Hand auf die Schulter. Nichts von alledem zeigte auch nur die
geringste Wirkung. Gwenda war nicht allzu hübsch, das wusste sie, doch sie
hatte durchaus etwas an sich, das manchen Mann schwer atmen ließ, wenn er sie nur
anschaute. Aber bei Wulfric nutzte das nichts.
    Gegen Mittag
machten sie Rast und aßen das Brot und den Käse, die sie mit sich führten, doch
Wasser tranken sie aus einem klaren Bach, wobei sie die Hände als Becher
benutzten, sodass Gwenda wieder keine Gelegenheit hatte, Wulfric den Trank zu
verabreichen.
    Dennoch war sie
glücklich. Sie hatte Wulfric den ganzen Tag für sich allein. Sie konnte ihn
sich anschauen, mit ihm reden, ihn zum Lachen bringen, ihm ihr Mitgefühl zeigen
und ihn gelegentlich berühren. Sie tat so, als könne sie ihn jederzeit küssen,
wenn sie wolle, nur dass sie im Augenblick eben keine Lust dazu habe. Es war beinahe
so, als wären sie verheiratet… und es war viel zu schnell vorbei.
    Früh am Abend
trafen sie in Wigleigh ein. Das Dorf stand auf einer Anhöhe. Zu beiden Seiten
erstreckten sich Felder, über die ein beständiger Wind strich. Nach zwei Wochen
im Gewimmel von Kingsbridge kam Gwenda der vertraute Ort ungewöhnlich klein und
still vor — bloß eine Ansammlung schlichter Behausungen an der Straße, die zum
Lehnshaus und zur Kirche führte. Das Lehnshaus war so groß wie das Heim eines
Kaufmanns in Kingsbridge, mit Schlafzimmern im Obergeschoss. Das Haus des
Pfarrers war ebenfalls sehr ansehnlich, und es gab auch ein paar schmucke Bauernhäuser.
Die meisten Häuser jedoch waren kaum mehr als Hütten mit zwei Räumen. In dem
einen war für gewöhnlich das Vieh untergebracht, der andere diente als Küche
und Schlafzimmer für die Familie.
    Nur die Kirche war aus Stein gebaut.
    Sie gelangten zu
dem Haus, das Wulfrics Familie gehörte. Es sah verlassen aus, denn Türen und
Fensterläden waren geschlossen.
    Wulfric ging daran
vorbei zum nächsten großen Haus, in dem Annet mit ihren Eltern wohnte. Beiläufig
winkte er Gwenda zum Abschied, ehe er mit einem erwartungsvollen Lächeln auf
den Lippen in dem Haus verschwand.
    Gwenda hatte das
Gefühl, als wäre sie gerade aus einem wundervollen Traum erwacht. Doch sie
schluckte Schmerz und Trauer herunter und machte sich auf den Weg über die
Felder. Der Regen Anfang Juni war gut für das Getreide gewesen, und Weizen und
Gerste waren grün; doch nun brauchten sie Sonnenschein, um zu reifen.
Dorffrauen arbeiteten auf den Feldern und jäteten Unkraut.
    Einige winkten Gwenda
zu.
    Als Gwenda sich
ihrem Heim näherte, empfand sie eine Mischung aus Angst und Wut. Seit dem Tag,
als ihr Vater sie bei Sim Chapman gegen die Kuh eingetauscht hatte, hatte sie
ihre Eltern nicht mehr gesehen. Sicher glaubte Pa, dass sie noch immer bei Sim
war. Was er wohl sagen würde, wenn seine Tochter auf einmal vor ihm stand? Und
was würde sie selbst zu einem Vater sagen, der ihr Vertrauen so schändlich
missbraucht hatte?
    Gwenda war sicher,
dass ihre Mutter nichts von dem beschämenden Tauschhandel wusste. Pa hatte ihr
vermutlich irgendeine Geschichte aufgetischt, dass ihre Tochter mit einem
Jungen durchgebrannt sei. Ma würde einen schrecklichen Wutanfall bekommen.
    Gwenda freute sich
allerdings darauf, die Kleinen wiederzusehen: Cath, Joanie und Eric. Erst jetzt
wurde ihr klar, wie sehr sie ihre Geschwister vermisst hatte.
    Auf der anderen
Seite des Feldes, halb zwischen den Bäumen am Waldrand verborgen, tauchte nun
ihr Zuhause auf. Es war sogar noch kleiner als die Bauernhütten und besaß nur
einen Raum, den die Familie sich des Nachts mit der Kuh teilen musste. Die
Hütte war aus verputztem Flechtwerk gebaut: Große Baumäste waren aufrecht in
den Boden gerammt und durch ein dichtes Geflecht aus Zweigen miteinander
verbunden. Die Ritzen und Fugen waren mit einer klebrigen Mischung aus Schlamm,
Stroh und Kuhmist gestopft.
    Im Schilfdach war
ein Loch, um den Rauch des Feuers in der Mitte des Wohnraums hinauszulassen.
Solche Hütten hielten nur ein paar Jahre; dann mussten sie neu gebaut werden.
Gwenda kam die Behausung ärmlicher vor denn je. Sie war fest entschlossen,
nicht an einem solchen

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