Die Tore der Welt
genauso gut eingestehen und von Neuem
beginnen.
»Also gut«, sagte
er und empfand Bedauern, in das sich ein Gefühl der Befreiung mischte.
»Abgemacht.«
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KAPITEL 77
Im Jahre 1350 war
Ostern früh, und am Abend des Karfreitags loderte ein großes Feuer in Merthins
Kamin. Auf dem Tisch stand ein kaltes Abendbrot: Räucherfisch, Weichkäse,
frisches Brot, Birnen und ein Bocksbeutel Rheinwein. Merthin trug sauberes
Unterzeug und ein neues, gelbes Gewand. Das Haus war geputzt worden, und auf
der Anrichte stand ein Krug mit Osterglocken.
Merthin war allein.
Lolla war bei seinen Dienern, Arn und Em. Ihr Häuschen stand am anderen Ende
des Gartens, doch Lolla — inzwischen fünf Jahre alt —, liebte es, bei ihnen zu
übernachten. Sie nannte es »pilgern« und nahm eine Reisetasche mit ihrer Haarbürste
und ihrer Lieblingspuppe mit.
Merthin öffnete ein
Fenster und blickte hinaus. Eine kalte Brise wehte von der Wiese am Südufer
über den Fluss. Das letzte Abendlicht schwand, schien vom Himmel herabzusinken
und im Wasser unterzugehen, bis es in der Schwärze verschwand.
Merthin stellte
sich eine kapuzenverhüllte Gestalt vor, die aus dem Nonnenkloster kam. Er sah,
wie die Gestalt einem ausgetretenen Pfad folgte, der quer über den
Kathedralenvorplatz führte; er stellte sich vor, wie sie an den Lichtern des
Gasthauses Bell vorbeieilte und in die Hauptstraße einbog, wobei sie ihr
Gesicht beschattete und sorgsam darauf achtete, mit niemandem zu reden. Er
stellte sich vor, wie sie das Uferland erreichte. Blickte sie zur Seite in den
kalten schwarzen Fluss und gemahnte sich an einen Augenblick so großer
Verzweiflung, dass selbstzerstörerische Gedanken aufkamen? Falls ja, wurde die
Erinnerung rasch beiseitegeschoben, und die Gestalt trat auf das
Kopfsteinpflaster seiner Brücke und kam herüber nach Leper Island, wo sie die
Hauptstraße verließ, niedriges Strauchwerk durchquerte und über die von
Gestrüpp durchsetzte Wiese ging, auf der das Gras von den Hasen kurz gehalten
wurde. Schließlich umrundete sie die Ruine des alten Aussätzigenhauses, bis sie
das südwestliche Ufer erreichte.
Dann klopfte die
Gestalt an Merthins Tür.
Er schloss das
Fenster und wartete, hörte jedoch kein Klopfen. Sein Wunschdenken war der Zeit
vorausgeeilt.
Er war versucht,
ein Glas Wein zu trinken, ließ es dann aber. Er wollte am Ablauf des Rituals
nichts ändern.
Wenige Augenblicke
später vernahm er das Klopfen und öffnete die Tür. Sie trat ein, warf die
Kapuze zurück und streifte sich den schweren grauen Umhang von den Schultern.
Sie war eine
Handbreit größer als er und ein paar Jahre älter. Auf ihrem stolzen Gesicht,
das üblicherweise den Ausdruck von Hochmut zeigte, lag nun ein Lächeln, so warm
wie die Sonne. Sie trug ein Kleid aus hellem Kingsbridger Scharlach. Merthin
schloss sie in die Arme, genoss es, ihren üppigen Leib zu spüren, und küsste
ihren breiten, vollen Mund.
»Philippa«,
flüsterte er.
Sie liebten sich
voller Gier auf dem Fußboden, ohne sich zu entkleiden. Der Hunger auf den
jeweils anderen war schier unstillbar.
Merthin breitete
hastig ihren Umhang auf dem Stroh aus, und sie hob ihr Kleid und legte sich
hin, schwer atmend vor Verlangen. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an
ihn, die Beine um seine Hüften geschlungen, während sie ihn an ihren weichen
Leib zog und ihr Gesicht an seinen Hals presste. Merthin spürte ihren heißen Atem
und hörte ihre erstickten Schreie, während ihr Körper unter seinen kräftigen
Stößen bebte.
Sie hatte ihm
gesagt, sie sei überzeugt gewesen, niemand würde sie jemals wieder berühren,
nachdem sie Ralph verlassen und in die Priorei gezogen war. Sie hatte geglaubt,
nie mehr bei einem Mann zu liegen, bis die Schwestern ihren kalten Leib zur
Bestattung vorbereiteten. Allein der Gedanke rührte Merthin zu Tränen.
Bei ihm war es
ähnlich. Seine Liebe zu Caris war so überwältigend gewesen, dass er nie
geglaubt hätte, eine andere Frau könne je seine Zuneigung gewinnen. Nun kam
Philippas Liebe wie ein unerwartetes Geschenk für ihn, ein kühler Quell, der in
einer heißen Wüste sprudelte, und beide tranken so gierig davon wie Verdurstende.
Hinterher lagen sie
erschöpft beim Feuer, und er erinnerte sich an das erste Mal. Kurz nachdem
Philippa in die Priorei gezogen war, hatte sie Interesse am Bau des neuen
Kirchturms entwickelt. Als praktisch veranlagter Frau fiel es ihr schwer, die
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