Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Fenster auf
ihre nackten Körper gefallen war.
    Sie tätschelte
seinen Arm. »So lange braucht das Hospital nicht, oder?« »Gegen Pfingsten
dürfte es fertig sein.« »Da bin ich froh«, sagte Caris. »Aber viel mehr noch
darüber, dass die Pest nicht mehr so schrecklich wütet. Sie fordert weniger
Opfer.« »Gott sei Dank«, sagte Merthin inbrünstig. »Vielleicht hat es bald ein
Ende damit.« Caris schüttelte düster den Kopf. »Das haben wir schon einmal geglaubt,
letztes Jahr um die gleiche Zeit. Dann kam die Seuche umso schlimmer zurück.«
»Ja. Gott bewahre uns davor, dass das noch einmal geschieht.« Sie berührte ihn
mit der Hand an der Wange und spürte seinen rauen Bart. »Wenigstens dir kann
nichts passieren.« Er sah leicht verstimmt aus. »Sobald das Hospital fertig
ist, können wir uns um den Wollmarkt kümmern.« »Ich hoffe, du hast recht und
der Handel floriert bald wieder.« »Wenn nicht, sterben wir sowieso.«
    »Sag nicht so was.«
Sie küsste ihn auf die Wange.
    »Wir müssen so
handeln, als wären wir sicher, dass wir überleben.« Er klang gereizt. »Aber das
sind wir natürlich nicht.«
    »Denken wir nicht
an das Schlimmste.« Sie legte ihm die Arme um die Hüften und schmiegte sich an
ihn.
    Er schob sie von
sich. Sie taumelte zurück und wäre fast gestürzt. »Lass das!«
    Caris blickte ihn
an. »Was ist denn?«
    »Rühr mich nicht
an!«
    »Ich habe doch nur
… «
    »Vor neun Monaten
hast du unsere Liebe beendet. Ich sagte damals, es sei das letzte Mal, und dabei
bleibt es.«
    Sie begriff seinen
Zorn nicht. »Aber ich habe dich doch nur umarmt … « »Ich bin nicht mehr dein
Geliebter. Du hast kein Recht dazu.« »Ich habe kein Recht, dich zu berühren?«
»Du hast es erfasst.« »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dazu eine Erlaubnis
brauche.« »Du lässt dich doch auch nicht von anderen Leuten berühren.« »Du bist
nicht irgendwer. Du und ich, wir … « Doch noch während sie sprach, begriff
Caris, dass sie unrecht hatte. Sie hatte Merthin zurück gewiesen, ohne sich mit
den Folgen abzufinden. Die Begegnung mit Harry aus Outhenby hatte ihre Lust
entfacht, und sie war zu Merthin gekommen, um diese Lust zu befriedigen. Sie
hatte sich eingeredet, ihn bloß als Freundin zu besuchen, doch damit machte sie
sich nur etwas vor. Sie hatte ihn behandelt wie einen Gegenstand, der einem
nach Lust und Laune zur Verfügung stand, so wie eine reiche, verwöhnte Dame
einen Liebesroman zur Seite legt und später wieder darin liest, wenn ihr danach
ist. Nachdem sie es Merthin die ganze Zeit verwehrt hatte, sie zu berühren,
konnte sie jetzt nicht erwarten, dieses Recht für sich selbst in Anspruch
nehmen zu dürfen, nur weil ein junger Pflüger ihre Leidenschaft wachgeküsst
hatte.
    Doch sie hätte
wenigstens erwartet, dass Merthin sie behutsam darauf hinwies. Stattdessen war
er feindselig und grob gewesen. Hatte sie nicht nur seine Liebe, sondern auch
seine Freundschaft weggeworfen? Tränen traten ihr in die Augen. Caris wandte
sich von ihm ab und ging zur Leiter zurück.
    Es kostete sie
große Mühe, die Sprossen hinauf zu steigen. Es war anstrengend, und sie schien
alle Kraft verloren zu haben. Schon bald hielt sie inne, um zu verschnaufen.
Als sie in die Tiefe blickte, stand Merthin am Fuß der Leiter und stabilisierte
sie mit seinem Körpergewicht, damit sie nicht ins Pendeln geriet.
    Als Caris fast oben
war, blickte sie noch einmal in die Grube.
    Merthin hielt noch
immer die Leiter. Ihr kam der Gedanke, dass alles Leid ein Ende hätte, wenn sie
stürzte. Es war ein tiefer Fall auf den granitharten Stein. Sie wäre auf der
Stelle tot.
    Merthin schien zu
spüren, was sie dachte, denn er winkte ungeduldig zum Zeichen, dass sie sich
beeilte und von der Leiter kam. Caris blickte ihn aus tränenden Augen an: Was
würde er empfinden, wenn sie ihrem Leben ein Ende setzte? Einen schrecklichen
Augenblick lang genoss sie es, sich seinen Kummer und seine Schuldgefühle
vorzustellen. Gewiss würde Gott sie im Leben nach dem Tod, wenn es so etwas
gab, nicht dafür strafen.
    Sie stieg die
letzten Sprossen hinauf und gelangte wieder auf festen Boden. Wie töricht sie
diesen schrecklichen Moment lang gewesen war! Sie würde ihr Leben niemals
wegwerfen. Sie hatte noch so viel zu tun.
    Caris kehrte ins
Nonnenkloster zurück. Es war Zeit für das Abendgebet, und bald darauf führte
sie die Prozession in die Kathedrale. Als junge Novizin war ihr die

Weitere Kostenlose Bücher