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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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wie dieser
zusammenlebte — sie waren im Augenblick sechsundzwanzig an der Zahl —, wusste
man normalerweise so gut wie alles über jeden. Bis auf Thomas. Welchem Herrn
hatte er gedient? Wo hatte er gelebt? Die meisten Ritter herrschten über ein
paar Dörfer, mit deren Abgaben sie Pferd, Rüstung und Waffen bezahlten. Hatte
Thomas Weib und Kinder gehabt? Und falls ja, was war aus ihnen geworden?
Niemand hatte eine Ahnung davon.
    Abgesehen vom
Mysterium seiner Herkunft war Thomas ein guter Mönch, fleißig und
gottesfürchtig. Es schien, als passe dieses Dasein besser zu ihm als sein Leben
als Ritter. Trotz seiner vorherigen Laufbahn der Gewalt hatte er etwas
Weibisches an sich, wie viele Mönche. Thomas stand Bruder Matthias sehr nahe,
einem sanftmütigen Mann, der ein paar Jahre jünger war als er. Aber falls sie
sich wirklich der Sünde der Unreinheit schuldig gemacht haben sollten, waren
sie zumindest sehr diskret gewesen, denn es war nie ruchbar geworden.
    Gegen Ende des
Gottesdienstes warf Godwyn einen Blick in die Düsternis des Hauptschiffs und
sah seine Mutter Petronilla, die so ruhig dastand wie eine der Säulen. Ein
Sonnenstrahl erhellte ihren stolzen grauen Kopf. Sie war allein. Godwyn fragte
sich, wie lange sie schon dort stand und alles beobachtete. Laien wurden nicht
ermutigt, unter der Woche den Gottesdienst zu besuchen, und Godwyn vermutete,
dass sie gekommen war, um ihn zu sehen. Bei ihrem Anblick empfand er eine
vertraute Mischung aus Freude und angespannter Erwartung. Seine Mutter würde
alles für ihn tun, das wusste er. Sie hatte ihr Haus verkauft und war die
Haushälterin ihres Bruders Edmund geworden, nur um ihren Sohn in Oxford studieren
zu lassen. Wenn Godwyn darüber nachdachte, welches Opfer dies für seine Mutter
bedeutet hatte, hätte er am liebsten vor Dankbarkeit geweint. Doch ihre
Anwesenheit machte ihn stets nervös, als drohe ihm ein Tadel für irgendeinen
Verstoß.
    Als die Mönche und
Nonnen hinaus gingen, löste Godwyn sich aus der Prozession und trat zu
Petronilla. »Guten Morgen, Mutter.«
    Sie küsste ihn auf
die Stirn. »Du siehst dünn aus«, bemerkte sie in mütterlicher Sorge. »Bekommst
du nicht genug zu essen?«
    »Pökelfisch und
Brei, aber davon reichlich«, antwortete er.
    »Weshalb bist du so
aufgeregt?« Petronilla spürte stets, in welcher Verfassung er war.
    Godwyn erzählte ihr
von Timothys Buch. »Ich könnte den entsprechenden Abschnitt beim Kapitel
vorlesen«, sagte er.
    »Würden andere dich
denn unterstützen?« »Theodoric und die jüngeren Mönche ja. Viele von ihnen
empfinden es als äußerst störend, ständig Frauen zu sehen. Schließlich haben
sie sich dazu entschlossen, in einer reinen Männergemeinschaft zusammenzuleben.«
Petronilla nickte beipflichtend. »Das macht dich zum Anführer. Hervorragend.«
»Außerdem mögen sie mich wegen der heißen Steine.« »Der heißen Steine?«
    »Ich habe eine neue
Regel für den Winter eingeführt. In eisigen Nächten, wenn wir zur Matutin in
die Kirche gehen, bekommt jeder Mönch einen in Lumpen gewickelten heißen Stein.
Damit vermeidet man Frostbeulen an den Füßen.«
    »Sehr klug.
Vergewissere dich trotzdem, dass du genügend Unterstützung hast, ehe du deinen
Vorstoß machst.«
    »Natürlich. Aber es
passt auch zu dem, was die Magister in Oxford lehren.« »Und das wäre?«
    »Menschen sind
fehlbar; deshalb dürfen wir uns nicht auf unseren Verstand verlassen. Wir
können nicht darauf hoffen, die Welt jemals zu begreifen, sondern nur staunend
vor Gottes Schöpfung stehen. Wahres Wissen erlangt man allein durch
Erleuchtung. Und einmal von Gott erhaltene Weisheit darf der Mensch nicht
infrage stellen.«
    Mutter schaute
skeptisch drein, wie Laien es oft taten, wenn gelehrte Männer ihnen hohe
philosophische Prinzipien zu erklären versuchten. »Und das glauben auch die
Bischöfe und Kardinäle?«
    »Ja. Die
Universität zu Paris hat die Werke des Aristoteles und des Aquinas mit dem Bann
belegt, da sie sich auf die Vernunft und nicht auf den Glauben berufen.«
    »Wird dir diese Art
zu denken helfen, die Gunst deiner Vorgesetzten zu erlangen?«
    Das war alles, was
für sie zählte. Petronilla wollte, dass ihr Sohn Prior wurde, Bischof,
Erzbischof, ja sogar Kardinal. Und Godwyn wollte das Gleiche, nur hoffte er,
dass er dabei nicht so zynisch wurde wie seine Mutter. »Dessen bin ich sicher«,
antwortete er.
    »Gut. Aber deshalb
bin ich nicht

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