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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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kommt Euch nicht zu, solch wichtige Entscheidungen zu treffen. Mitleid kann die Welt nicht regieren, und solange Ihr das nicht begreift, seid Ihr nicht geeignet, über Wohl und Wehe eines ganzen Landes zu entscheiden. Überlasst die Dinge einfach uns.«
    Jetzt geschah etwas, was ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Elisabeths ungarisches Temperament brach durch. Sie fegte den Pokal vom Tisch, der vor ihr gestanden hatte, sprang auf und ging auf den Kämmerer los. »Was fällt Euch ein!«, fuhr sie den Dicken an und stampfte mit dem Fuß auf. »Mein Gatte hat mir sein Siegel anvertraut, und Ihr«, sie deutete mit dem Zeigefinger anklagend erst auf Fahner, dann auf alle anderen, »habt ihm und damit mir Gefolgschaft, Gehorsam und Treue gelobt. Ihr beleidigt mich und damit die Krone Thüringens! Ich befehle Euch im Namen meines Mannes und im Namen Gottes: Lasst die Speicher öffnen! Verflucht sei, wer sich dem widersetzt. Der Landgraf wird ihn zu strafen wissen, wenn der Herr es nicht schon vorher getan hat!«
    Das war die längste und selbstbewussteste Rede, die ich je aus ihrem Mund gehört hatte.
    Die Männer wechselten verblüffte Blicke, aber niemand wagte ein Widerwort. Sie wussten alle, wie innig Ludwig seine Frau liebte. Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie in Ungnade fielen, wenn Elisabeth sich beschwerte. »Kommt«, sagte schließlich Rudolf von Vargula. »Lasst uns das Nötige in die Wege leiten. Herrin, es geschehe nach Eurem Willen.« Er verbeugte sich und winkte die anderen zur Tür hinaus.
    Elisabeth sank auf ihrem Stuhl in sich zusammen, der Streit hatte sie alle Kraft gekostet. Aber sie hatte ihr Ziel erreicht. Nach einiger Zeit stand sie auf und ging in die Kapelle, um ein Dankgebet zu sprechen.
     
    Ab da herrschte zwischen ihr und denen vom Adel offene Feindschaft; einzige Ausnahme waren die Vargula-Brüder, die noch nie von ihrer Seite gewichen waren.
    In den Städten und von den Burgen aus wurde Korn verteilt, um die schlimmste Not zu lindern, und auf Anordnung der Räte achteten die Vögte und Schultheißen peinlich genau darauf, dass ein Teil des Getreides sofort für die Aussaat verwendet wurde. Es war zwar fast schon zu spät im Jahr dafür, aber ohne Aussicht auf die nächste Ernte würden die Bauern nicht auf ihrem Land bleiben, viele Dörfer würden wüst fallen. Wir beteten und hofften auf einen guten Sommer.
    Derweil pilgerten die Armen und Kranken immer noch täglich vor die Wartburg. Es gab böses Blut zwischen dem Burggrafen von Wartberg, der für die Festung verantwortlich war, und Elisabeth, die mit Hingabe jeden Mittag Almosen verteilte. Eines Tages kam es sogar dazu, dass die, die noch gehen konnten, in den Burghof hineindrängten und sich dort nicht mehr vertreiben lassen wollten. Das war zu viel!
    Der Wartberger stürmte ohne Anmeldung in die Frauenkemenate und schrie Elisabeth wutentbrannt an. »Ihr macht unsere schöne Burg zum Siechenhaus! Die widerwärtigsten Gestalten bevölkern den Hof und besudeln alles mit ihren Exkrementen. Der Abschaum nimmt hier Heimat! Wer hätte je erlebt, dass die Behausungen des Adels zur Herberge für Krüppel und Bresthafte würden! Lasst den Pöbel hinauswerfen, Frau Elisabeth, oder ich befehle den Wächtern, sie mit Prügeln zu vertreiben.«
    Isentrud und ich redeten Elisabeth gut zu. Es war wirklich nicht ratsam, diese Leute auf der Burg zu lassen. Sie konnten andere anstecken, und außerdem stahlen sie wie die Raben. Also sprach sie zu ihnen, bis sie freiwillig zum Tor hinausgingen. Danach schloss sie sich in ihrer Kammer ein.
     
    Nachdem nun der Kastner täglich am Eisenacher Getreidespeicher das Korn verteilte, wurden zumindest die einfachen Bettler vor dem Burgtor weniger. Am Ende blieben nur noch diejenigen, die zu lahm oder zu krank waren, sich bei der Getreidevergabe zu behaupten, oder die es einfach nicht mehr hinunter in die Stadt schafften. Es waren die schlimmsten Fälle. Schemeler, die sich mühselig auf ihren Handbänkchen voranbewegten und die lahmen Beine hinterherzogen, verwirrte Alte, die man einfach liegen gelassen hatte, verkrüppelte Kinder ohne Eltern, Schwerkranke und Sterbende. Und natürlich die Aussätzigen, die ja nicht in die Stadt durften. Sie alle, es waren vielleicht zwanzig oder dreißig, warteten nach wie vor jeden Tag auf unser Erscheinen und Elisabeths Brotverteilung. Und natürlich mein kleiner Freund Primus, der von mir in der Burgküche verwöhnt wurde. »Dieses ekle Gesindel werden wir nicht mehr

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