Die Tore des Himmels
los«, murrte der von Wartberg, »außer sie krepieren, früher oder später.« Damit hatte er vermutlich recht. Diese Leute brauchten nicht nur Brot, sie brauchten Pflege, jemanden, der sich um sie kümmerte, der manche von ihnen bis zum Tod begleitete. Wir gingen zwar unter ihnen herum, verbanden Wunden und säuberten Schwären, aber das war einfach nicht genug. Eines Tages, als eines der kranken Kinder anfing, Blut zu spucken, schlug sich Elisabeth plötzlich mit der Hand vor die Stirn und sagte zu mir: »Himmel, Gisa! Warum bauen wir nicht ein Hospital in Eisenach? Eines wie in Gotha, wo die Kranken wohnen können. Das könnte ich von meinem eigenen Geld bezahlen, und ich bräuchte von niemandem die Erlaubnis dazu.«
Sie war Feuer und Flamme. »Warum bin ich nicht eher darauf gekommen?«, fragte sie, und schon lief sie los, ich, Guda und Isentrud hinterher. Im Frauenzimmer begann sie sofort, in ihren Aussteuertruhen nach den Säckchen mit den Silbergulden zu wühlen. »Das ist es, was die armen Menschen hier brauchen!«, rief sie dabei. »Wir bauen ihnen ein Hospital!«
»Am besten in der Fischervorstadt«, meinte Isentrud. »Am Hörselufer. Da muss man das Wasser nicht so weit herholen, und alles Ekle kann man in den Fluss leiten.«
»Ich habe gehört, das Haus zum Greifen steht leer«, fiel Guda ein. »Da wäre auch ein Brunnen.«
Wir schmiedeten eine Zeitlang Pläne, bis Elisabeth irgendwann sagte: »Eisenach ist mir zu weit weg.«
»Wie, zu weit?«, fragte Guda. Aber mir dämmerte schon, was Elisabeth meinte.
»Ich will selber jeden Tag nach den Kranken sehen. Wie die vom Heiligen Geist berührte Maria von Oignies, erinnert ihr euch?«
Natürlich erinnerten wir uns, der Franziskaner Rodeger hatte von ihr erzählt. Sie war eine flandrische Adelige, die Hab und Gut weggegeben und ihre Familie verlassen hatte, um mit anderen Frauen, die sich »arme Schwestern« oder »Beginen« nannten, in einem Haus zusammenzuleben und dort Kranke zu pflegen.
»Na, vor das Burgtor kann aber kein Hospital hin«, warf Isentrud ein. »Der Wartberger wird das nicht zulassen. Aus Gründen der Sicherheit im Krieg. Da könnte sich ja der Feind festsetzen. Und damit hätte er sogar recht.«
»Dann irgendwo weiter unten.« Elisabeth grübelte.
»Bei der Quelle«, sagte ich. »Da, wo die Esel sind. Das ist auf halbem Weg zwischen Burg und Stadt.«
Elisabeths Augen leuchteten. Sie umarmte mich voller Freude. »Holt mir die Brüder Vargula«, sagte sie dann.
Kurze Zeit später standen drunten bei der Quelle, wo man das Wasser für die Burg heraufholte, zwei ganz einfache Holzhäuser und eine Hütte. Die Dächer waren strohgedeckt, alles hatte ja schnell gehen sollen. In dem einen Haus befanden sich zehn aus Holzlatten gezimmerte Bettstätten, in denen je zwei Kranke Platz finden sollten. Das andere barg die Herdstelle zum Kochen und hatte einen Raum für alle, die nicht bettlägerig waren. In der winzigen Hütte fanden die Aussätzigen auf Heu und Stroh Unterkunft.
Als der Bau fertig war, führte Elisabeth die Kranken selber von der Burg zum Hospital. »Kommt herein, ihr lieben Leute«, sagte sie, und ein seliges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Hier habt ihr ein Heim, aus dem euch niemand vertreiben wird. Möge Gott euch an diesem Ort gnädig sein.«
Selten hatte ich Elisabeth so glücklich gesehen wie an diesem Tag.
Nun begann für uns eine arbeitsreiche Zeit. Jeden Vormittag nach dem Morgenessen gingen wir mit Elisabeth den Weg hinunter zum Hospital, manchmal auch ein zweites Mal am Nachmittag. Wir brachten den Kranken und Elenden Nahrungsmittel und Kleider, Laken, Verbände, was eben gebraucht wurde. Brennholz ließen wir von einem Knecht einmal in der Woche mit dem Karren bringen. Und dann kümmerten wir uns um alles. Wir kochten – das übernahm Isentrud, die früher auf ihrer kleinen Heimatburg immer gern an der Herdstelle gestanden hatte. Es gab natürlich nichts Besonderes, meistens Brei oder Graupen zum Sattwerden, Gemüsesuppen oder Knochenbrühe, dazu Brot, wenn wir genügend hatten. Guda und ich halfen Elisabeth bei der Versorgung der Kranken. Wir wechselten eiter- und blutbesudelte Wäsche, halfen den Kranken bei ihrer Notdurft, säuberten Wunden und strichen Salbe auf Grinde oder nässende Hautstellen. Ich muss zugeben, es kostete mich große Überwindung, dies alles zu tun. Der Gestank, der manche der Unglücklichen umgab, verursachte mir Übelkeit, und der abstoßende Anblick mancher Elender war
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