Die Totengräberin - Roman
Glas ein. Das machte er normalerweise nur an Feiertagen oder zu besonderen Anlässen.
»Ist gut«, sagt er knapp, »ich kümmere mich drum. Aber
ich möchte auf dem Laufenden gehalten werden und die Wahrheit erfahren. Dass das klar ist.«
»Natürlich. Du kannst dich drauf verlassen.«
Richard stand auf. »Komm mit in mein Arbeitszimmer, Lukas. Ich glaube, wir sollten noch das eine oder andere besprechen.«
Lukas folgte seinem Vater, und Hildegard ging in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten. Sie wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grunde glaubte sie nicht, dass Johannes aus eigenem Antrieb weggegangen war. Johannes war ein so bodenständiger Mensch. Er liebte das Leben, seine Arbeit und seine Frau. Er lebte gern in Berlin und genoss das Ferienhaus in der Toskana. Depressionen waren ein Fremdwort für ihn, und er wirkte wie ein Mann, der den Sinn seines Lebens längst gefunden hatte.
Lukas konnte sie sich in der Rolle des Zweifelnden, der sein Glück irgendwo anders suchte, viel eher vorstellen.
Als sie Zwiebeln schnitt und ihr nicht nur deswegen die Tränen über die Wangen liefen, schwor sie sich, niemals aufzuhören nachzufragen und nach ihm zu suchen.
68
»Sag das noch mal«, fauchte Anneliese, »du spielst nicht mehr? Bist du in den Geldtopf gefallen oder von allen guten Geistern verlassen?«
Dackeldame Paulinchen verdrehte entzückt die Augen, als sie auf die Plastikdecke pinkelte. Anneliese, die normalerweise sofort aufsprang, um den See aufzuwischen, reagierte gar nicht, sondern redete weiter.
»Kindchen, wenn du Probleme hast, dann stottere meinetwegen ein halbes Jahr, nimm dir’nen S-Fehler und geh zum Psychiater. Oder fang an zu saufen. Habe ich alles erlebt, geht auch alles wieder vorbei. Aber erzähl mir nicht diesen bodenlosen Unfug, dass du nicht mehr spielen willst.«
»Ich kann es Ihnen nicht erklären, aber es geht einfach nicht.«
»Blödsinn. Es gibt nichts, was man nicht erklären kann. Hast du dich neu verliebt?«
»Das auch.«
»Aha.« Anneliese sah schon zufriedener aus. »Dann ist ja Heilung in Sicht. Das geht auch vorüber. Und wovon willst du leben, bis du wieder zur Vernunft gekommen bist? Von Luft und Liebe?«
»Ich übernehme die Firma meines Bruders. Das ist ein
Haufen Arbeit und eine riesige Verantwortung. Da kann ich nicht ein paar Wochen proben und einige Monate auf Tournee gehen.«
»Oh Gott, wie furchtbar! Warum das denn?« Anneliese zog sämtliche Ringe von ihren dürren Fingern, legte sie auf den Tisch und steckte dann die Ringe von der linken auf die rechte und die von der rechten auf die linke Hand. Dieses Spielchen fing sie immer an, wenn sie sich zu langweilen begann.
»Mein Bruder ist krank. Sehr krank. Er wird die Firma nicht mehr leiten können.«
»Das tut mir leid.« Anneliese betrachtete selbstgefällig ihr Werk. »Ich könnte mich wund ärgern, dass ich vor einem Monat die neuen Kataloge hab drucken lassen, und noch mehr ärgern könnte ich mich, dass ich über dich mit Wedel gesprochen hab.«
»Und?« Lukas platzte fast vor Neugier.
»Vergiss es, Kindchen, und kümmere dich um deine Bilanzen.«
»Bitte, Anneliese. Wie viele Tage?«
Um es spannender zu machen, stand Anneliese auf, ging zu ihrem pompösen Eichenschrank, in dem sie Schauspielerunterlagen und -fotos aufbewahrte, holte aus der Nische zwischen Wand und Schrank Eimer, Scheuerlappen und Schrubber hervor und klatschte den Scheuerlappen auf Paulinchens See.
»Drei«, sagte sie. »Ziemlich am Stück. Alle in einer Woche.«
Die alte Gier nach jedem Job, jeder noch so kleinen Geldquelle, erfasste Lukas wie in alten Zeiten.
»Wann?«, fragte er.
»Jetzt bald. Zwischen dem Siebzehnten und dem Vierundzwanzigsten.
Aber mach dir keinen Kopf, Kindchen, ich habe zig Jungs, die spielen das mit links. Ich dachte nur, du brauchst im Moment jeden Cent. Mir klingt noch in den Ohren, wie du hier vor ein paar Wochen angekrochen gekommen bist.«
Irgendwie war Anneliese auf ihre alten Tage ja doch noch ziemlich auf Zack, überlegte Lukas, und für das Geld, das er in dieser einen Woche verdiente, konnte er Magdas Konto wieder ein bisschen auffüllen und ihr bei seiner Rückkehr ein schönes Geschenk machen. Fantastisch. Vielleicht kam ja doch noch alles in Ordnung.
»Ich spiele die Rolle. Worum geht es?«
»Um einen Kleinkriminellen, der fürchterlich zusammengeschlagen wird, im Rollstuhl landet und auspackt. Und das überlebt er nicht, wie du dir vorstellen kannst.« Sie grinste, hatte
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