Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Rasenflächen standen Müll- und Lagercontainer herum. Sechs Jahre nach Katrina hatte New Orleans – die Wiege der Südstaatenkultur, die Stadt, die die amerikanische Seele mitgeprägt hatte – noch immer Mühe, wieder auf die Beine zu kommen.
Es war einfach eine Schande. Er fuhr über die South Carrolton Avenue, und je höher sie kamen, desto weniger blaue Planen waren zu sehen. Hier ähnelte New Orleans wieder mehr der Stadt seiner Jugend.
Er bog in die Magazine Street ein, und als sie an der Bordeaux Street vorbeifuhren, musste er unwillkürlich lächeln. Le Bon Temps gab’s immer noch, und abgesehen von einem neuen Anstrich sah der Laden noch genauso aus wie früher, als er dort freitagabends zusammen mit Julia und ihren Freunden gezecht und getanzt hatte. Vor vierzehn Jahren …
Ob sie ihn noch wollte?
Auch Casamento’s existierte noch. Unter anderen Umständen hätte Daniel vorgeschlagen, dort Gumbo und einen Oyster Loafzu essen, aber allein der Anblick des Restaurants machte ihn schon glücklich. Er stellte das Radio auf 90.7 FM ein.
»WWOZ«, sagte Trinity, »der beste Radiosender der Welt. Wie ich den vermisst habe.«
»Ich höre ihn mir übers Internet an.«
»Und ich dachte, ihr hört nur gregorianische Choräle.«
»Bitte …«, sagte Daniel und machte das Radio lauter. Louis Armstrong und Louis Jordan sangen
I’ll Be Glad When You’re Dead, You Rascal You
.
»Klasse!« Trinity lachte.
Sie fuhren an Cafés und Galerien, Frisörsalons und Tätowierungsstudios, Pfandleihen und Autowerkstätten vorbei, während Satchmo ihnen versicherte, er wäre froh, wenn sie tot wären.
Daniel hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Er konnte sich ein Leben mit Julia hier in New Orleans gut vorstellen. Aber auch wenn sie ihn nicht zurückhaben wollte, war dies seine Heimat. Und Katrina zum Trotz und obwohl das übrige Amerika New Orleans aufgegeben hatte, wurde die Stadt langsam wieder aufgebaut.
Ein guter Ort, um ein neues Leben aufzubauen … vorausgesetzt, er überlebte diese verrückte Odyssee mit seinem Onkel.
Der Radio-DJ dankte Big Easy Scooters, dem Ra Shop und Harrah’s Casino für ihre Unterstützung und spielte dann ein wunderbares Liebeslied von Trombone Shorty. Als sie unter der Überführung des Highway 90 hindurchfuhren, ging das Stück zu Ende. Daniel drosselte das Tempo und machte das Radio aus. Er fand einen Parkplatz auf der Peters Street, ganz in der Nähe der Canal Street und des French Quarter. Trotz der drückenden Hitze zog er die Windjacke über, die Pat ihm gegeben hatte. Er nahm die Pistole aus dem Handschuhfach und steckte sie sich in den Hosenbund, sein Hemd lose darüber.
»Also hör zu«, sagte er. »Du behältst Mütze und Sonnenbrille auf und läufst ganz gemächlich. Ich halte mich circa zehn Schritte hinter dir, aber auf der anderen Straßenseite. Sieh dich nicht nach mir um, ich bin da. Und schau dich auch nicht um, ob dich jemanderkennt. Darauf achte ich schon. Du musst dich nur ganz lässig geben. Denk dran, du bist ein Tourist. Und stolzier nicht so rum …«
»Ich stolziere überhaupt nicht rum«, sagte Trinity empört. Daniel war nicht sicher, ob er es ernst meinte.
»Sagen wir mal, dein Gang ist ein bisschen auffällig, und schließlich sollst du ja in der Menge untertauchen. Ach, und zünde dir ruhig eine Zigarette an. Im Fernsehen hat man dich nämlich noch nie rauchen sehen. Dann wird man dich erst gar nicht mit dem Mann aus dem Fernsehen in Verbindung bringen. Lauf einfach zu dem Haus in der Dumaine Street …«
»Nummer 633 … falls wir getrennt werden.«
»Keine Sorge«, sagte Daniel.
»Okay.« Trinity wollte gerade aussteigen.
»Warte.« Daniel holte Pats Straßenkarte aus dem Rucksack und zog die rote Linie mit dem Finger nach. »Geh über die Bienville Street und dann über die Chartres Street bis zur Dumaine Street.«
»Bienville, Chartres und Dumaine Street, verstanden.« Trinity stieg aus und schloss die Wagentür. Er zündete sich eine Zigarette an, steckte sein Zippo-Feuerzeug wieder in die Tasche und lief los. Daniel gab ihm etwas Vorsprung und folgte ihm dann.
Die meisten Leute übertreiben, wenn sie ihr Äußeres verändern wollen, dachte Daniel bei sich, und erregen dadurch erst recht Aufmerksamkeit. Trinitys Verkleidung war nicht perfekt, aber all die Merkmale, die sein glattes Fernseh-Image ausmachten, waren verschwunden. Statt des Seidenanzugs trug er Jeans und ein schlichtes Baumwollhemd. Das silberne Haar war braun
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