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Die Türme der Mitternacht

Die Türme der Mitternacht

Titel: Die Türme der Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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guter Mann.
    Androl stellte die Riemen fertig. Dann ging er hinüber und durchschnitt die Schnur, die das ovale Lederstück festzurrte. Es behielt seine Form bei, und er hielt es ins Sonnenlicht und musterte die Nähte. Das Leder war steif, ohne brüchig zu sein. Er schob es sich auf den Unterarm. Ja, die Form war gut.
    Er nickte. Einer der Tricks des Lebens bestand darin, auf die Kleinigkeiten zu achten. Sich zu konzentrieren, die kleinen Dinge richtig zu machen. War jeder Stich auf einem Armschutz ordentlich gesetzt, würde er weder ausfransen noch reißen. Für einen Bogenschützen machte das möglicherweise den Unterschied aus, eine Salve zu beenden oder den Bogen wegstellen zu müssen.
    Ein Bogenschütze machte keinen Unterschied in einer Schlacht. Aber die kleinen Dinge addierten sich, eines nach dem anderen, bis sie zu großen Dingen wurden. Er stellte den Armschutz fertig, indem er auf der Hinterseite ein paar Schnüre anbrachte, damit man ihn am Arm festschnallen konnte.
    Er nahm den schwarzen Mantel von der Stuhllehne. Der silberne Schwertanstecker am hohen Kragen funkelte im durch das Fenster fallenden Licht, als er ihn zuknöpfte. Er betrachtete sich im Spiegelbild der Scheibe und vergewisserte sich, dass der Mantel ordentlich saß. Kleine Dinge waren wichtig. Sekunden waren kleine Dinge, und wenn man sie anhäufte, verwandelten sie sich in das Leben eines Mannes.
    Er legte den Armschutz an, dann stieß er die Tür der kleinen Werkstatt auf und betrat das äußere Viertel des zur Schwarzen Burg gehörenden Dorfes. Hier hatte man die zweistöckigen Gebäude so zu kleinen Gruppen angeordnet, wie es in den Kleinstädten von Andor üblich war. Strohgedeckte Spitzdächer, gerade Holzwände, dazu noch etwas Stein und Ziegel. Eine doppelte Reihe führte direkt zum Dorfzentrum. Wenn man sich umsah, hätte man den Eindruck gewinnen können, durch Neubraem oder Grafendale zu spazieren.
    Natürlich hätte man dazu die Männer in den schwarzen Mänteln ignorieren müssen. Sie waren überall, erledigten Besorgungen für den M’Hael, gingen zu ihrem Unterricht, arbeiteten am Fundament der Schwarzen Burg. Dieser Ort war noch immer ein unvollendetes Werk. Eine Gruppe Soldaten - sie durften weder den Schwertanstecker noch den rotgoldenen Drachen tragen - grub mit der Einen Macht eine lange Mulde in den Boden neben der Straße. Man hatte entschieden, dass das Dorf einen Kanal brauchte.
    Androl konnte die Gewebe sehen, hauptsächlich Erde, die um die Soldaten umherwirbelten. In der Schwarzen Burg erledigte man so viel wie möglich mit der Einen Macht. Ununterbrochen übte man, so wie Männer Steine stemmten, um kräftiger zu werden. Beim Licht, wie Logain und Taim diese Jungen antrieben.
    Androl blieb auf der kürzlich mit Schotter versehenen Straße. Der Schotter wies größtenteils geschmolzene Kanten auf, weil man ihn mit Feuer hergestellt hatte. Sie hatten mithilfe von Geweben aus Luft Felsen durch Wegetore hergeschafft und dann mit explosiven Geweben zerschmettert. Es war wie auf einem Schlachtfeld gewesen, berstender Stein, durch die Luft wirbelnde Splitter. Mit dieser Macht und der dazugehörigen Übung würden die Asha’man dazu in der Lage sein, sämtliche Stadtmauern in Trümmer zu verwandeln.
    Androl ging weiter. Die Schwarze Burg war ein Ort seltsamer Anblicke, und geschmolzener Schotter war bei weitem nicht das Seltsamste. Genauso wenig wie die Soldaten, die den Boden aufrissen und Androls sorgfältigen Vermessungen folgten. Für ihn war der seltsamste Anblick in letzter Zeit die Kinder. Sie liefen umher und spielten, sprangen in die Mulde, die die Soldaten gegraben hatten, rutschten die steilen Wände hinunter und kletterten wieder nach oben.
    Kinder. Die in von Saidin-Explosionen erschaffenen Löchern spielten. Die Welt veränderte sich. Androls Großmutter, die so alt gewesen war, dass sie keinen Zahn mehr im Mund gehabt hatte, hatte ihm mit Geschichten über Männer, die die Macht lenken, so viel Angst eingejagt, dass er sich in Nächten, in denen er aus dem Haus schleichen wollte, um die Sterne zu betrachten, zitternd in sein Bett verkrochen hatte. Die Dunkelheit draußen hatte ihm keine Angst machen können, genauso wenig wie die Geschichten über Trollocs und Blasse. Aber Männer, die die Macht lenkten… das hatte ihm Höllenängste eingejagt.
    Und jetzt war er hier, in seinen mittleren Jahren, hatte plötzlich Angst vor der Dunkelheit, fühlte sich aber wohl unter Männern, die die Macht lenkten.

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