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Die Türme der Mitternacht

Die Türme der Mitternacht

Titel: Die Türme der Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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Kies knirschte unter seinen Stiefeln. Die Kinder kletterten auf allen vieren aus der Grube und scharten sich um ihn. Ohne großes Aufheben holte er eine Handvoll Süßigkeiten aus der Tasche, die er bei der letzten Kundschaftermission gekauft hatte.
    »Jeder zwei«, sagte er streng, als schmutzige Hände nach den Süßigkeiten griffen. »Und es wird nicht geschubst, klar?« Hände flogen zu den Mündern, und die Kinder nickten dankend und nannten ihn »Meister Genhaid«, bevor sie fortliefen. Sie gingen nicht zurück zum Graben, sondern erfanden ein neues Spiel, rannten zu den Feldern im Osten.
    Lächelnd rieb sich Androl die Hände sauber. Kinder waren so anpassungsfähig. Bei ihnen konnten Jahrhunderte der Tradition, des Schreckens und des Aberglaubens dahinschmelzen wie zu lange in der Sonne liegen gelassene Butter. Aber es war gut, dass sie aus dem Graben verschwunden waren. Die Eine Macht konnte unberechenbar sein.
    Nein. Das war so nicht richtig. Saidin war völlig berechenbar. Die Männer hingegen, die es lenkten … Nun, das war eine ganz andere Geschichte.
    Die Soldaten hielten in ihrer Arbeit inne und wandten sich ihm zu. Er war kein vollwertiger Asha’man, darum stand ihm auch kein Gruß zu, aber sie erwiesen ihm ihren Respekt. Fast schon zu viel. Er war sich nicht so richtig darüber im Klaren, warum sie das taten. Er war kein großer Mann, vor allen Dingen nicht hier in der Schwarzen Burg.
    Trotzdem nickten sie ihm beim Vorbeigehen zu. Die meisten von ihnen gehörten zu den Rekruten von den Zwei Flüssen. Alles stämmige Burschen, alle eifrig, auch wenn viele von ihnen noch ziemlich jung waren. Die Hälfte von ihnen musste sich nicht häufiger als einmal in der Woche rasieren. Androl begab sich zu ihnen, inspizierte ihre Arbeit, musterte die Reihen aus Schnüren, die er an kleine Holzpflöcke gebunden hatte. »Der Winkel ist gut, Jungs«, sagte er. »Aber macht die Seiten steiler, wenn ihr könnt.«
    »Ja, Meister Genhaid«, sagte der Mann, der die Gruppe anführte. Jaim Torfinn war sein Name, ein dürrer junger Mann mit hellbraunen Haaren. Er hielt noch immer die Macht. Der tobende Strom aus Kraft war so verführerisch. Nur selten gab es Männer, die ihn ohne ein tief empfundenes Gefühl des Verlusts loslassen konnten.
    Der M’Hael ermunterte sie, sie festzuhalten, behauptete, dass sie auf diese Weise besser lernten, sie zu kontrollieren. Aber Androl hatte schon zuvor ähnlich verführerische Gefühle wie Saidin kennengelernt - die Erregung in einer Schlacht, den Rausch selten genossener Getränke von den Inseln des Meervolks, das siegestrunkene Gefühl eines Erfolges. Ein Mann konnte sich von diesen Gefühlen leicht beherrschen lassen und die Selbstkontrolle verlieren, sich darin vergessen. Und Saidin war verführerischer als alles, was er je zuvor erlebt hatte.
    Er hatte Taim nichts von seinen Vorbehalten gesagt. Es war nicht seine Angelegenheit, den M’Hael zu belehren.
    »Lasst mich euch zeigen, was ich mit gerade meine«, sagte Androl. Er holte tief Luft, dann machte er sich von allen Gefühlen frei. Dazu benutzte er den alten Soldatentrick - den hatte ihm sein erster Fechtlehrer beigebracht, der alte und einarmige Garfin, dessen schwerer ländlicher illianischer Akzent so gut wie unverständlich gewesen war. Natürlich hatte Androl selbst einen leichten tarabonischen Akzent, wie man ihm gesagt hatte. Aber der war in den Jahren, seit er das letzte Mal in seiner Heimat gewesen war, verblichen.
    Innerhalb des Nichts fühlte Androl die tobende Macht von Saidin. Er griff danach, wie ein Mann nach dem Hals eines galoppierenden Pferdes griff in der Hoffnung, es ein bisschen lenken zu können, sich aber in Wahrheit bloß festzuklammern versuchte.
    Saidin war großartig. Ja, es war mächtiger als jedes Rauschmittel. Es machte die Welt schöner, praller. Als Androl diese schreckliche Macht hielt, hatte er das Gefühl, zum Leben erwacht zu sein, die trockene Hülle seines ehemaligen Selbst zurückgelassen zu haben. Sie drohte, ihn mit ihrem rasenden Strom davonzutragen.
    Er arbeitete schnell, webte ein winziges Rinnsal Erde - so gut er das vermochte, denn in Erde war er am schwächsten und schnitt die Kanalseiten sorgfältig zurecht. »Wenn ihr zu viele Vorsprünge übrigiast«, erklärte er, während er arbeitete, »dann wird der Kanalfluss schlammig bleiben, weil die Erde an den Seiten fortgeschwemmt wird. Je gerader und fester die Seiten sind, umso besser. Seht ihr?«
    Die Soldaten nickten. Ihre Stirn

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