Die Ueberlebenden von Mogadischu
wollen mich beschützen, und ich möchte die Kinder beschützen.
Ja, das habe ich bei meinem ersten Anruf ja gemerkt.
Wir passen gut aufeinander auf. So sind wir, so bin ich.
Ich frage mich, weil ich natürlich nie so etwas Schreckliches erlebt habe: Mildert sich die Wirkung eines so einschneidenden Ereignisses dadurch ab, dass man nicht darüber spricht, oder mildert sie sich dadurch ab, dass man darüber spricht ?
Nur darüber zu sprechen hilft nicht. Mir hat es nicht geholfen. Ich habe ja direkt danach alles dem Stern erzählt, das war so eine Art erste Psychotherapie. Danach habe ich dichtgemacht. Ein paar Monate später kam das Angebot von Professor Ploeger zu einer Gruppensitzung.
Andere Betroffene haben erzählt, sie seien beim Hausarzt gewesen und der habe zu ihnen gesagt: »Sie sehen ja blendend aus, was haben Sie eigentlich ?«
In den siebziger und achtziger Jahren hatte man von Trauma-Behandlung überhaupt keine Ahnung. Ich konnte gleich am Anfang, mit dem Stern -Interview, alles rauslassen. Durch meine Mitwirkung am Stern -Buch und an der Produktion von Heinrich Breloer habe ich mich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen.
Sie haben zugleich für eine mediale Bedeutung gesorgt. Sie waren das schöne Gesicht in diesem Drama.
Die zwei anderen Kolleginnen waren ja weg. Die eine ging in ihre Heimat nach Österreich, die andere wollte sich überhaupt nicht öffentlich äußern und tat es bis heute nicht ...
Ja. Aber es war ja dann doch beides: Einerseits hat das Stern -Interview eine Art erster Psychotherapie bedeutet, andererseits wurde das Bild von Gabriele Dillmann, wie Sie damals noch hießen, als »Engel von Mogadischu« gefestigt.
240 Ich habe mir einmal vergegenwärtigt, wie das Bild vom »Engel« entstanden ist. Der Hinweis auf mein Verhalten in der Maschine kam von den Passagieren selbst. Ich bin jemand, der sich stark über seinen Körper ausdrückt. Bevor ich zu jemandem sage: »Nimm dich zusammen!«, nehme ich ihn in den Arm. Das ist einfach ein Teil meiner Persönlichkeit. So war ich auch schon mit 23 , als ich in der »Landshut« entführt wurde. Ich habe Passagiere gestreichelt oder in den Arm genommen. Man ist, wie man ist. In Extremsituationen wie einer Entführung kommen das Schlimmste und das Beste in einem Menschen heraus. Bei mir war es die positive Eigenschaft, andere Menschen beruhigen zu können. Hinzu kommt, dass die Medien das Bild vom »Engel« bereitwillig aufgegriffen haben. Es gibt ja wenige positive Figuren in der deutschen Geschichte, und darunter auch nur wenige Frauen. Ich sollte jetzt eine von ihnen sein. Die »Landshut«-Entführung ist ja längst Geschichte.
Ausgerechnet diese junge Stewardess, die allen geholfen hat, war dann am Ende auch noch diejenige, die von einer Handgranate verletzt worden ist.
Etwas schwerer verletzt. Ich musste lange Zeit immer wieder aufgeschnitten werden, bis alle Splitter aus dem Körper sind.
Aber Sie haben heute keine Beschwerden mehr ?
Nein.
Sie haben mir in einem früheren Gespräch erzählt, ein Journalist habe Ihre Mutter zum Friseur gebracht, damit das Wiedersehen mit der Tochter in Frankfurt ein gutes Bild macht. Sie selbst haben sich daraufhin nur noch auf dienstliche Anweisung der Presse, nämlich dem »Stern«, zur Verfügung gestellt.
Das war meine Oma. Meine Mutter lebte damals schon in Karlsruhe und kam gar nicht nach Frankfurt. Der wichtigste Mensch in meinem Leben war meine Oma. Dieser Journalist klingelte bei meiner Oma an der Haustür, und als sie öffnete, stellte er einen Fuß in die Tür. Am Flughafen in Frankfurt gab er sich wie meine Oma als Angehöriger aus und kam durch alle Kontrollen 241 hindurch. Erst als Rüdeger und ich auf ihn trafen, flog der Schwindel auf, Rüdeger ließ ihn hinter die Absperrungen zurückbringen. Aber seine Fotos hatte er natürlich schon.
Ihr Mann sagt im schon erwähnten Fernsehporträt über Sie: »Vor der Entführung war sie ein ganz fröhlicher, spontaner Mensch, der viel gelacht hat, und direkt nach der Entführung war sie in sich gekehrt und verschlossen. Nach der Befreiung war es eine neue Welt, eine ganz andere Welt, man hat das Vogelzwitschern und das Rauschen der Bäume ganz anders gehört.« Er hat Sie hinterher als verändert erlebt.
Aber absolut. Jeder Tag war ein Geschenk, und jeder Tag ist auch heute noch ein Geschenk. Ich habe fast immer gute Laune, es sei denn, man gibt sich große Mühe, mir diese gute Laune zu verderben. Ich habe einen ganz
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