Die Ueberlebenden von Mogadischu
positiven Zugang zur Welt, weil ich jeden Tag als Geschenk ansehe.
Was Ihr Mann in dem Film gesagt hat, klingt für mich nach: »Es hat bei uns so schön angefangen, dann kam dieses Ereignis, und danach war es nicht mehr so schön.«
Für eine Weile mag es so gewesen sein, aber ich habe mir mein inneres Gleichgewicht zurückerobert. Nicht nur in dieser Situation, auch nach anderen schlimmen Ereignissen in meinem Leben. Es ist mir auf meinem Lebensweg viel zugestoßen. Schon bei der Geburt wäre ich fast gestorben. Jahre nach der Entführung hatten wir einen schweren Autounfall. Mein Leben ist kein langer ruhiger Fluss. Aber ich habe einmal gelesen, man kriegt nichts aufgebürdet, was man nicht in der Lage ist zu tragen.
Ein wichtiges Lebenselixier wurde danach die Kunst.
Zuerst meine Kinder, dann die Kunst. Meine Kinder sind ein sehr wichtiges Lebenselixier für mich gewesen. Es war für mich das Größte, dass ich auf einmal diesen kleinen Sohn, diesen kleinen, süßen Sonnenschein bekommen habe. Er hat mich zehn Jahre meines Lebens total glücklich gemacht. Dann kam die Kleine dazu, das hat mein Glück noch verstärkt. Nachdem meine Kinder nicht mehr permanent meiner Aufmerksamkeit bedurften, fand ich zur Kunst.
242 Sie schaffen »Wächter«, die auf die Menschen, denen sie gehören, aufpassen sollen ?
Ich bin mehr für das Prinzip: »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.« Es sind Zeichen, die ich setze, helfen muss man sich selbst. Aber es sind gute Geister, die ich in diese Welt bringe, die Schutz symbolisieren. Sie sollen Kraft geben, sich selbst zu helfen.
Sie haben Menschen in einer Grenzsituation erlebt. Sie sagten vorhin sinngemäß, in einer Grenzsituation kommt das Gute oder das Böse bei einem Menschen heraus. Ich habe den Eindruck, Sie denken immer noch positiv über Menschen, gehen positiv auf sie zu.
Nicht jeder Mensch ist ein guter Mensch. Ich habe den Glauben an die Menschen nicht komplett verloren, aber ich bin vorsichtiger geworden. Es gibt nicht nur freundliche Leute, sondern auch unfreundliche, die einem Böses wollen. Man muss aufpassen, man kann nicht jedem vertrauen. Ich gehe manchmal zu blauäugig auf Menschen zu und bin dann am Boden zerstört, wenn mich die Wirklichkeit wieder eingeholt hat.
Sie haben mit dem Erlebnis in der »Landshut« zu leben gelernt.
Das musste ich ja. Es gibt zwei Möglichkeiten: Sie leben mit so etwas und überleben, oder Sie geben sich auf und ertränken den Schmerz in Alkohol. Sie entscheiden sich für das Leben oder gegen das Leben.
Das ist für mich eine Frage, die sich mir in jedem Interview mit einer Geisel stellt: Was gibt den Ausschlag dafür, ob man sich – um Ihr Wort aufzunehmen – nach einer solchen Erfahrung für oder gegen das Leben entscheidet ?
Das ist eine Charaktersache.
Meinen Sie wirklich ? Wäre anderen Opfern nicht lebenslanges Leid erspart geblieben, wenn sie therapeutisch betreut worden wären ?
Wir wurden alle nach unserer Rückkehr ins kalte Wasser geworfen: Pass auf, entweder du findest das Ufer oder du gehst unter. Ende der siebziger Jahre gab es keine therapeutischen 243 Hilfsmittel, das war einfach nicht üblich. Ich glaube, ich bin eine Überlebende, schon von der Kindheit an. Ich hatte eine schwierige Kindheit und bin aus ihr ohne Verbiegungen herausgekommen. Ich sage ja immer, ich mache aus Scheiße Gold! Warum nehme ich als Material für meine künstlerische Arbeit bereits geschlagene, herumliegende Stämme und Äste? Ich würde nie akzeptieren, dass für meine Arbeit ein Baum gefällt wird. Ich möchte nicht, dass etwas für mich stirbt. Ich setze dem toten Material ein Denkmal, indem ich es zu einem »Wächter« oder einem »Flügel« verarbeite.
Haben Sie einmal Angst vor Ihrer eigenen Courage bekommen ?
Nein. Ich weiß im Grunde meines Herzens, dass ich in dieser schrecklichen Situation helfen konnte.
Sie haben oft gesagt, anderen zu helfen habe Ihnen selbst geholfen.
Absolut. Das Helfen hilft dir selbst. Hilf anderen, und dir wird selbst geholfen. Ich glaube, der Sinn des Lebens ist, immer sein Bestes zu geben, für sich, für andere, für das Leben auf der Erde.
Eine frühere Geisel, Brigitte Pittelkow, hat sich mit Souhaila Andrawes getroffen und ihr im christlichen Sinn vergeben.
Wir haben hinterher darüber telefoniert. Ich habe ihr gesagt: Ich vergebe nichts. Weshalb soll ich einem Menschen, der mir bewusst so etwas angetan hat, vergeben? Meine andere Wange bekommt er nicht. Ich will mit diesem
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