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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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freuen. Sie würde begreifen, daß er ihr treu geblieben war.
    »Bist du mir böse, wenn ich dennoch hinfahre?« fragte er seine Freundin mit der Brille, der es um jeden Tag ohne ihn leid tat, aber sie konnte ihm nichts abschlagen.
    Einige Tage später saß er in einer großen Maschine auf dem Pariser Flughafen, mit zwanzig Ärzten und etwa fünfzig Intellektuellen (Professoren, Schriftsteller, Abgeordnete, Sänger, Schauspieler und Bürgermeister), die von vierhundert Journalisten und Fotografen begleitet wurden.
    15.
    Das Flugzeug landete in Bangkok. Die vierhundertsiebzig Ärzte, Intellektuellen und Journalisten begaben sich in den Empfangssaal eines internationalen Hotels, wo sie von weiteren Ärzten, Schauspielern, Sängern und Philologen erwartet wurden, die wiederum von mehreren Hundert Journalisten mit Notizblöcken, Tonbandgeräten, Fotoapparaten und Filmkameras begleitet waren. An der Stirnseite des Saales befand sich ein Podium mit einem langen Tisch, an dem etwa zwanzig Amerikaner saßen, die bereits begonnen hatten, die Versammlung zu leiten.
    Die französischen Intellektuellen, die mit Franz eingetreten waren, fühlten sich zurückgesetzt und erniedrigt. Der Marsch nach Kambodscha war ihre Idee gewesen, und nun waren es auf einmal die Amerikaner, die mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit die Leitung übernommen hatten und darüber hinaus auch noch englisch sprachen, ohne daß es ihnen eingefallen wäre, daß Franzosen oder Dänen sie vielleicht nicht verstehen könnten. Die Dänen hatten allerdings schon lange vergessen, daß sie einmal eine Nation gewesen waren, und so konnten sich von allen Europäern nur die Franzosen zu einem Protest aufraffen. Da sie ihre Prinzipien hatten, weigerten sie sich, auf englisch zu protestieren und wandten sich in ihrer Muttersprache an die Amerikaner auf dem Podium. Die Amerikaner reagierten mit freundlichem und beipflichtendem Lächeln, weil sie kein Wort verstanden.
    Schließlich blieb den Franzosen nichts anderes übrig, als ihren Einwand auf englisch zu formulieren: »Warum wird auf dieser Versammlung englisch gesprochen, wenn auch Franzosen anwesend sind?«
    Die Amerikaner waren sehr verdutzt über einen so sonderbaren Einwand, hörten jedoch nicht auf zu lächeln und erklärten sich einverstanden, daß sämtliche Reden übersetzt würden. Lange suchte man nach einem Dolmetscher, bevor die Versammlung fortgesetzt werden konnte. Jeder Satz mußte englisch und französisch vorgetragen werden, so daß die Versammlung doppelt so lange dauerte, ja eigentlich noch länger, weil alle Franzosen Englisch konnten und den Dolmetscher ständig unterbrachen, korrigierten und sich mit ihm um jedes Wort zankten.
    Der Höhepunkt der Veranstaltung war der Augenblick, als eine berühmte amerikanische Filmdiva das Podium bestieg.
    Ihretwegen stürzten noch mehr Fotografen und Kameraleute in den Saal, und nach jeder Silbe der Schauspielerin hörte man das Klicken eines Apparates. Die Filmschauspielerin sprach über die leidenden Kinder, die Barbarei der kommunistischen Diktatur, das Recht des Menschen auf Sicherheit, die Bedrohung der traditionellen Werte der zivilisierten Gesellschaft, die unantastbare
    Freiheit des menschlichen Individuums und über den Präsidenten Carter, der betrübt sei über das, was in Kambodscha vor sich gehe. Die letzten Worte stieß sie unter Tränen hervor.
    In diesem Moment stand ein junger französischer Arzt mit rotem Schnurrbart auf und schrie: »Wir sind hier, um Menschen vor dem Tode zu retten! Wir sind nicht zum Ruhm des Präsidenten Carter hier! Das darf nicht zu einem amerikanischen Propagandazirkus ausarten! Wir sind nicht hierhergekommen, um gegen den Kommunismus zu protestieren, sondern um Kranke zu heilen!«
    Weitere Franzosen schlossen sich dem Arzt mit dem Schnurrbart an. Der Dolmetscher bekam es mit der Angst zu tun und wagte nicht zu übersetzen, was sie sagten. Die zwanzig Amerikaner auf dem Podium sahen sie also wieder mit ihrem Lächeln voller Sympathie an, und einige nickten zustimmend mit dem Kopf. Einer hob sogar die Faust, weil er wußte, daß die Europäer in Momenten kollektiver Euphorie gern diese Geste machen.
    16.
    Wie ist es überhaupt möglich, daß Linksintellektuelle (denn der Arzt mit dem Schnurrbart war einer) bereit sind, gegen die Interessen eines kommunistischen Landes zu marschieren, obwohl der Kommunismus stets als Bestandteil der Linken betrachtet wurde?
    Als in dem Land, das Sowjetunion genannt wird, die

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