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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pregel
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ging mich doch nichts an, das betraf mich nicht, ich war ja nur mit Karsten zusammen. Und außerdem, ich wusste so gut wie gar nichts über diese Krankheit, wie hätte ich also auf diese Behauptung antworten können? Stattdessen trat ich endgültig den Rückzug an, ging rückwärts kopfschüttelnd aus der Küche und sagte zu jedem Kopfschütteln wie ein Mantra: »Nein. Nein. Nein. Nein.«
    »Du gehst zu diesem Psychiater«, rief mir mein Vater hinterher, »und du lässt dich heilen!«
    »Leck mich, du Arschloch«, brüllte ich und lief in mein Zimmer, wo ich mich hinter der Tür verschanzte.
    Mein Vater kam hinterher und war kurz davor, die Tür einzutreten, um meiner habhaft zu werden, wenn meine Mutter ihn nicht gerade eben noch davon hätte abhalten können. Er konnte eben nicht gut mit Verweigerung umgehen. Und ich ging auch wirklich niemals zu einem Psychiater, ich sträubte mich so sehr und am Ende auch öffentlich dagegen, dass meine Eltern von diesem Plan schließlich abließen. Meine Mutter akzeptierte mein Schwulsein irgendwann, mein Vater dagegen bestrafte mich dafür fortan mit tiefstem, kältestem Schweigen, er wollte überhaupt keinen Anteil mehr an meinem Leben nehmen. Er zahlte noch für mich, für meine unnütz gewordene Ausbildung, darüber hinaus aber wollte er nichts mehr von mir wissen. Bis heute hält er gnadenlos Distanz zu mir.
    »Ja, bitte? Haben Sie noch einen Wunsch?«
    Ich zucke erschrocken zusammen, blicke auf. Wieder steht mein Kellner vor mir, unsicher lächelnd.
    »Was? Wieso?«
    »Na, Sie haben mich so angesehen, als ob …«
    »Ich … äh …«
    »Geht es Ihnen vielleicht nicht gut? Sie sehen wirklich etwas blass aus. Noch ein Glas Wasser vielleicht? Oder ein Aspirin?»
    Ich schüttle den Kopf, will dieses Knäuel radioaktiv strahlender Erinnerungen aus meinem Gedächtnis schütteln. Aber das geht natürlich nicht, weshalb ich einmal mehr den starken Drang zum sofortigen Aufbruch in mir verspüre, zum Ortswechsel. Irgendwann müssen sie sich ja doch einmal abhängen lassen. Nur kann ich hier nicht einfach so weglaufen, hier muss ich noch eine Sache erledigen, bevor ich gehen kann.

»Bringen Sie mir die Rechnung, bitte.«
    Der Brünette nickt und schaut etwas betrübt aus der Wäsche. Hat er sich doch mehr erwartet?
    Ich zahle und gebe ein sehr dickes Trinkgeld. »Weil Sie so aufmerksam waren«, erkläre ich.
    »Oh, vielen Dank!«, ruft er aus. »Aber das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen.«
    Doch, das ist es. Aber das kann ich ihm nicht erklären. Ich will es auch gar nicht. Seine Freude über meine Großzügigkeit scheint so aufrichtig und unverfälscht, trotz seiner Liebhaberei für meine Kunst davon nicht im Geringsten korrumpiert, dass ich sie ihm nicht durch den schwermütigen Gedanken verderben will, damit so etwas wie einen Ablass für meine Sünden gezahlt zu haben. Es würde ihn ja auch eh nur verwirren, schließlich weiß er nicht, was ich allein letzte Nacht alles so getrieben habe. Wer weiß, vielleicht würde dieser anständige Junge, wüsste er davon, dann völlig empört einen auf Martin Luther machen und mir das Geld um die Ohren hauen, den Trick nicht funktionieren lassend. Oder aber es würde ihn auf der Stelle verderben, er sich davon ein paar eigene Sünden leisten. Vielleicht sind nicht nur Körpersäfte wie Blut und Samenflüssigkeit unter Umständen ansteckend, vielleicht ja auch mein Geld, vergiftet allein schon dadurch, dass ich es in meinen Midashänden gehalten habe? Doch dann wäre der Unglückliche sowieso längst verloren, seit dem Moment, da ich das Gnosa betreten habe und er, entzückt, mich zu sehen, seinen Job an mir erledigt hat.
    Ich verlasse das Café, ein wenig schauspielernd und so tuend, als werfe ich einen Blick auf die Uhr und müsse erkennen, dass es schon ziemlich spät sei. »Mein Zug«, murmele ich, springe auf, schlüpfe in meine dicke Winterjacke, wickle mir meinen Künstlerschal um den Hals, greife nach meiner Tasche und winke beim Hinausgehen ein Goodbye in den Raum. Ich komme mir vor wie die allerletzte Schwuchtel, die für ihre Freunde einen hollywoodreifen Abgang hinlegt, deren Mangel an Ironie jedoch verrät, dass sie gar keine Freunde hat. »Auf Wiedersehen, Herr …«, ruft mir mein Kellner hinterher, und die sich schließende Tür kappt meinen Namen ab. Ich sehe zu, dass ich Land gewinne, wie mein Vater so schön sagt.
    Ich laufe die Lange Reihe zurück bis zum Hauptbahnhof und – daran vorbei. Ich weiß nicht, wie

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