Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande
Kriegerin nun ein Tuch hoch und an ihr Gesicht. Sie schloss die Augen, das Bild von der Zeichnung fest in ihre Gedanken eingebrannt, und atmete tief den Duft ihrer verlorenen Freundin ein.
Ihre Schultern zuckten vom Schluchzen, und Tränen fielen in das Tuch.
Einen Augenblick später nahm sie sich mit einem tiefen Atemzug wieder zusammen. Sie presste die Lippen fest aufeinander, als sie Tuch und Zeichnung beiseitelegte. Sie nahm andere kleine Gegenstände aus der Truhe: ein paar Schmuckstücke, zwei Orden, die die beiden von einem der ehemaligen Unterkommandanten des Vaasa-Tors erhalten hatten, eine Halskette mit Halbedelsteinen ... Dann hielt sie inne, und einen Augenblick später zog sie einen falschen Bart und eine braune Ledermütze heraus, eine Verkleidung, die Parissus oft getragen hatte, wenn sie und Calihye in die Schänken gegangen waren. Parissus konnte einen Mann recht gut imitieren, und im Geist hörte sie jetzt die raue, tiefe Stimme, die ihre Freundin in solchen Situationen benutzt hatte. Wie oft hatten sie mit den Bürgern der Blutsteinlande und ihrer Umgebung gespielt!
Schließlich fand sie den Gegenstand, den sie gesucht hatte: eine kleine Kristallphiole, die mit Blut gefüllt war, dem Blut von Calihye und Parissus, miteinander vermischt, eine Erinnerung an ihr gemeinsames Gelübde.
»Im Leben und darüber hinaus«, sagte sie leise. Dann wandte sie sich ihrem Dolch zu, den sie auf einem kleinen Tisch an der Seite abgelegt hatte, und sagte: »Noch nicht.«
Sie nahm eine kleine Silberkette aus dem Beutel, die sie vor ihrer Abreise aus Dorf Blutstein erworben hatte. Sie hob die Phiole hoch und drehte sie langsam, so dass sie die winzige goldene Öse an der Rückseite erkennen konnte. Mit der Geschicklichkeit einer sehr fähigen Diebin zog sie die Kette durch die Öse, dann legte sie diesen ungewöhnlichen Halsschmuck um ihren zarten Elfenhals.
Sie langte zu der Kristallphiole an ihrer Kehle, dann hob sie das Tuch noch einmal ans Gesicht und atmete den Duft von Parissus ein.
Aber sie begann nicht noch einmal zu weinen, und als sie das Tuch wegzog, war ihr Gesicht ausdruckslos.
Remilar hätte beinahe die Konzentration und damit seinen Zauber verloren, als der blutende Bosun auf ihn zugekrochen kam. Der schrecklich verwundete Mann streckte eine zitternde Hand nach dem Zauberer aus und sah ihn kläglich und verwirrt an.
Remilar, in der Mitte eines Zaubers und unwillig, sich davon abzuwenden, nickte dem Mann hektisch zu und bedeutete ihm, er solle sich beeilen.
Irgendwie fand Bosun genug Energie, um weiterzukriechen, aber Remilar wusste, dass er ihn nicht rechtzeitig erreichen würde.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kamen Agenten der Zitadelle der Meuchelmörder aus dem Schatten, um die Fliehenden zu verfolgen und ihnen Feuerpfeile und Zauber hinterherzuschleudern. Aber zu Remilars Entsetzen begaben sich auch andere aus ihren Verstecken, und der Magier brauchte nur einen Augenblick, um zu begreifen, was er da vor sich hatte.
Spysong!
War die Zitadelle der Meuchelmörder mit Entreri und Jarlaxle nur geködert worden? War Entreris Verrat nichts weiter gewesen als ein Trick, um dem Netz die tödliche Aufmerksamkeit von König Gareths Geheimdienst einzubringen?
Remilar schüttelte diese Gedanken ab und erkannte, dass er die Konzentration auf den Zauber endgültig verloren hatte. Er winkte dem kriechenden Bosun hektischer zu und begann von vorn.
Bosun war rechtzeitig da, fiel vor Remilars Füße und schlang die Arme um die Beine des Zauberers. Remilar streckte sogar die Hand aus und packte die Schulter des Mannes, als sein Zauber wirkte, und transportierte sie beide durch den Raum zu einem felsigen Berghang im südlichen Vaasa, zwanzig Meilen östlich vom Vaasa-Tor.
»Also los, komm«, sagte Remilar zu seinem am Boden liegenden Kumpan. »Es sind zweihundert Schritte den Hügel hinauf bis zur Zitadelle, und ich werde dich nicht tragen.« Er griff nach unten, zerrte an Bosun und schüttelte den Kopf, als er in seine Augen starrte, denn er schien seine Umgebung kaum wahrzunehmen.
Und in der Tat, Bosun war nicht einmal vorhanden hinter diesem leeren Blick. Er befand sich in einem Wirbel von grauem Nebel und aufblitzenden grellen Lichtern, der Verwirrung eines psionischen Angriffs, als Kimmuriel Oblodra seinen Körper in Besitz nahm.
Die Nachtmahre donnerten über das Kopfsteinpflaster, und Rauch und Flammen stiegen von ihren anderweltlichen Hufen auf. Jarlaxle führte Entreri um
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