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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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versagt.
    Ein Blumenkarren rollte vorüber und hielt ein Dutzend Schritte entfernt an.
    »Was gibt es?«, wiederholte er, diesmal eindringlicher. »Gracie!«
    Sie schluckte so heftig, dass er es sehen konnte. Jetzt hatte er
richtig Angst. Ein zu großer Teil seines Lebens war mit der Keppel Street verbunden. Er konnte das nicht einfach abschütteln und seiner Wege gehen. Nicht nur würde es schmerzen, ihm würde auch etwas fehlen.
    »Ich bin Remus gefolgt, wie Sie es mir aufgetragen haben.« Sie sah ihn herausfordernd an.
    »Das habe ich nicht getan!«, brach es aus ihm heraus. »Ich habe gesagt, Sie sollen zu Hause bleiben und Ihre Arbeit tun.«
    »Zuerst haben Sie gesagt, ich soll ihm folgen«, beharrte sie dickköpfig.
    Ein Paar kam an ihnen vorüber. Die Frau roch an einem Strauß Rosen, den sie sich vor das Gesicht hielt.
    Tellman sah in Gracies Gesicht und an der Art, wie sie stocksteif dastand, dass sie Angst hatte. Er spürte sie, als hätte sie ihn selbst mit ihrem eisigen Atem gestreift. Er wollte Gracie beschützen, er wollte nicht, dass sie Angst hatte! Zugleich war er wütend, denn er hatte seine Seele so weit geöffnet, dass er verletzlich war.
    »Jedenfalls hätten Sie das nicht tun dürfen«, fuhr er sie an. »Sie sollten zu Hause bleiben, wo Sie hingehören, und sich um Mrs. Pitt und den Haushalt kümmern!«
    Ihre Augen waren weit geöffnet und dunkel, ihre Lippen zitterten. Er machte alles nur noch schlimmer. Er tat ihr weh und ließ sie mit dem Erlebten allein, ob sie es nun gesehen oder nur gedacht hatte.
    »Wo waren Sie denn?«, fragte er ein wenig freundlicher. Es klang brummig, aber in Wahrheit ärgerte er sich über sich selbst, weil er so schwerfällig war, zu viel empfand und zu wenig dachte. Er wusste nicht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Sie war so jung, mindestens ein Dutzend Jahre jünger als er, und zugleich so tapfer und stolz. Ihr näher zu kommen war so ähnlich wie der Versuch, eine Distel zu pflücken, dabei war sie nur eine halbe Portion! Er hatte Zwölfjährige gesehen, die kräftiger gebaut waren! Aber einem mutigeren oder willensstärkeren Menschen war er nie begegnet, und wäre er noch so groß und stark gewesen. »Nun?«, sagte er.
    Ihre Augen lösten sich nicht von seinen. Sie achtete nicht auf die Vorübergehenden. »Ich hab Ihr ganzes Geld ausgegeben«,
sagte sie. »Und sogar ’n bisschen von dem, was man mir gegeben hat.«
    »Haben Sie etwa London verlassen? Ich hatte ausdrücklich gesagt – «
    »Nein!«, erwiderte sie rasch und schluckte erneut. »Aber ich brauch nich tun, was Sie mir sagen! Er war in Whitechapel, Remus meine ich – in den Nebenstraßen nach Spitalfields und Limehouse rüber. Er hat rumgefragt, ob vor vier Jahren oder so jemand ’ne große Kutsche gesehen hat, die nich dahin gehörte. Als ob in der Gegend jemand Kutschen oder Pferde hätt! Schusters Rappen, das ja. Wenn’s hochkommt, Pferde-Omnibus auf der Hauptstraße.«
    Er wusste nicht, was er denken sollte. Immerhin war, was sie da berichtete, nicht entsetzlich. »Nach einer Kutsche hat er sich erkundigt? Und hat er etwas erfahren?«
    Einen Augenblick glaubte er, auf ihren Zügen ein Lächeln zu sehen, doch erstarb es im Ansatz. In ihr war ein Entsetzen lebendig, das jeden Anflug von Fröhlichkeit unterdrückte. Es fasste mit einem Schmerz nach ihm, den er kaum zu ertragen vermochte.
    »Ja. Er wusste nich, wer ich bin, und ich hab mich von ihm ausfragen lassen, so wie er die anderen gefragt hat«, sagte sie. »Ich hab ihm gesagt, ich hätte vor vier Jahren ’ne große schwarze Kutsche gesehen. Er wollte wissen, ob jemand da drin nach bestimmten Leuten gefragt hätte, und ich hab gesagt, ja.«
    »Nach wem?« Seine Stimme klang rau vor Anspannung.
    »Ich hab den ersten Namen gesagt, der mir eingefallen is. Ich musste an die junge Frau denken, die man aus der Cleveland Street verschleppt hat, und hab ›Annie‹ gesagt.« Sie zitterte heftig.
    »Annie?« Er tat einen Schritt näher auf sie zu. Er wollte sie berühren, sie bei den Schultern fassen, aber da er fürchtete, dass sie ihn zurückstoßen könnte, blieb er ruhig stehen. »Annie Crook?«
    Ihr Gesicht war aschfahl. Sie schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Nein … ich hab das erst viele Stunden später begriffen, als ich ihm wieder nach Whitechapel gefolgt bin. Vorher war ich mit ihm bei der Wasserpolizei, danach hat er jemand
’nen Brief geschickt und im Hyde Park ’nen Herrn getroffen und dem was Schreckliches

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