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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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vorgeworfen. Dann hat er sich richtig mit ihm gestritten und is wieder nach Whitechapel gefahren.« Sie hielt atemlos inne, ihre Brust hob und senkte sich.
    »Wer denn?«, beharrte er. »Wenn es nicht Annie Crook war, welche Rolle spielt das dann?« Er war enttäuscht, obwohl er keinen Grund dazu hatte. Nur das Entsetzen auf ihren Zügen hinderte ihn daran, beiseite zu sehen. Sie schluckte erneut. »Die Dunkle Annie!«, flüsterte sie kaum hörbar.
    »Dunkle … Annie …?« Allmählich erfasste er das Entsetzen, so kalt wie das Grab.
    »Annie Chapman … die Jack aufgeschlitzt hat.«
    »The … Ripper?« Er brachte das Wort kaum heraus.
    »Ja!«, stieß sie keuchend hervor. »Die anderen Stellen, an denen er nach ’ner Kutsche gefragt hat, waren Buck’s Row, wo Polly Nichols umgekommen is, und die Hanbury Street, wo es die Dunkle Annie erwischt hat. Ganz zum Schluss war er am Mitre Square, wo man Kate Eddowes gefunden hat, noch schlimmer zugerichtet wie die anderen.«
    Das Grauen erfasste ihn, als wäre etwas namenloses Urzeitliches aus der Dunkelheit hervorgebrochen und stünde jetzt dicht bei ihnen, Tod im Herzen und den Händen.
    »Wenn Sie das gewusst haben«, begann er mit sich fast hysterisch überschlagender Stimme, »hätten Sie ihm doch nicht weiter zur Wasserpolizei folgen dürfen und – «
    »Ich wusste es doch nicht!«, brach es aus ihr heraus. »Er war zuerst bei der Polizei und hat nach ’nem Kutscher namens Nickley gefragt, der ’n Mädchen von sieben oder acht Jahren überfahren wollte, zweimal, es aber nich erwischt hat.« Sie versuchte, zu Atem zu kommen. »Nach dem zweiten Mal is er in die Themse gesprungen, hat aber vorher die Stiefel ausgezogen. Also wollte der sich gar nich wirklich umbringen, sondern nur erreichen, dass die Leute das glaubten.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«, fragte er rasch. Er fasste sie am Arm und zog sie an den Rand des Gehwegs, weil zwei Männer vorüberkamen, denen sie im Weg standen. Er ließ sie nicht wieder los.
    »Ich hab keine Ahnung«, sagte sie aufgebracht.
    Er bemühte sich, einen Zusammenhang in der Geschichte zu erkennen, Verbindungen zu Annie Crook zu sehen, überlegte, was das Ganze mit Adinett und Pitt zu tun haben könnte. Aber aus der tiefsten Tiefe stieg trotz aller Bemühungen, dagegen anzukämpfen, Angst um Gracie wie auch Angst um sich selbst in ihm auf, denn sie bedeutete ihm so viel, dass er weder wusste, wie er damit umgehen sollte, noch, wie er dies überwältigende Gefühl beherrschen konnte.
    »Aber Remus weiß es«, sagte sie und sah ihn aufmerksam an. »Er strahlt richtig vor Zufriedenheit – man kann ihn durch ganz London leuchten sehn.«
    Er sah sie nach wie vor an.
    »Ich hab sein Gesicht am Mitre Square geseh’n, wie er unter ’ner Straßenlaterne gestanden hat«, sagte sie. »Da hat der Ripper Kate Eddowes … umgebracht … und Remus wusste das! Deswegen war er da.«
    Mit einem Mal ging Tellman die Bedeutung ihrer Worte auf. »Sie sind ihm in der Dunkelheit dahin gefolgt?« Er war entsetzt. »Allein … zum Mitre Square?« Seine Stimme überschlug sich fast. »Haben Sie denn völlig den Verstand verloren? Überlegen Sie doch nur, was Ihnen hätte passieren können!«
    Er schloss die Augen so fest, dass es ihn schmerzte, bemühte sich, die Vorstellungen zu verjagen, die sich in seinem Kopf drängten. Er konnte sich an Bilder der Leichen erinnern, die er vor vier Jahren gesehen hatte, entsetzliche Verstümmelungen der menschlichen Gestalt, die jeglicher Ehrfurcht vor dem Tode Hohn sprachen.
    Und Gracie hatte jenen Ort aufgesucht, am späten Abend, auf der Fährte eines Mannes, von dem man nicht wusste, was sich hinter ihm verbarg. »Sie dämliches …«, schrie Tellman, »dämliches …« Ihm fiel kein Begriff ein, der seiner Angst um sie, seiner Wut und seiner Erleichterung und zugleich seinem Zorn über die eigene Verletzlichkeit angemessen Ausdruck verlieh, denn ihm war klar, dass er in seinem Leben keinen glücklichen Augenblick mehr gehabt hätte, wenn ihr etwas zugestoßen wäre.
    Er merkte nicht, dass Menschen stehen blieben und ihn neugierig anstarrten, unter ihnen ein älterer Herr, der zögernd auf
Gracie zutrat, da er sich Sorgen um ihre Sicherheit machte. Dann aber kam er wohl zu dem Ergebnis, dass es besser sei, sich nicht einzumischen, und er eilte weiter.
    Tellman wollte sich nicht so viele Sorgen um andere Menschen machen müssen, ganz besonders aber nicht um Gracie. Sie konnte ihn nicht besonders gut leiden,

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