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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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diese Weise lösen zu können.« Er biss sich auf die Lippe, bis sich der Schmerz auf seinen Zügen zeigte. »Aber ich will es versuchen. Jetzt verschwinden Sie, und sehen Sie zu, was Sie selbst tun können. Noch etwas, Pitt!«
    »Ja?«
    »Sagen Sie niemandem, was Sie getan haben – unter keinen Umständen und ganz gleich, wer festgenommen wird. Sie würden die Sache damit nur verschlimmern, und glauben würde Ihnen ohnehin niemand. Hier geht es nicht um Wahrheit, sondern um Hunger und Angst und darum, das Wenige zu schützen, das man hat, weil es nicht genug ist, um es mit anderen zu teilen.«
    »Ich weiß«, gab ihm Pitt Recht. Es ging auch um Macht und politischen Ehrgeiz, aber das sagte er nicht. Sofern Narraway es nicht wusste, war dies nicht der richtige Augenblick, ihm das mitzuteilen, und falls er es wusste, war es nicht nötig. Er ging ohne ein weiteres Wort hinaus.

Kapitel 12
    P itt fühlte sich einsamer als je zuvor. Zum ersten Mal hatte er sich bewusst außerhalb des Gesetzes gestellt. Gewiss, auch vorher hatte er schon gewusst, was Angst war, körperliche wie seelische, aber noch nie war er so zwischen verschiedenen moralischen Vorstellungen hin- und hergerissen worden, hatte noch nie so wenig gewusst, wohin er gehörte.
    Er erwachte, weil er fror, und sah, dass er halb entblößt war und sich seine Laken zu einem wirren Bündel verknotet hatten. Das graue Morgenlicht fiel in den Raum. Unten konnte er Leas Schritte hören. Sie hatte Angst. Das hatte er an der Art gemerkt, wie sie ihren Blick abgewendet hatte, an der Anspannung ihrer Hände, die ungeschickter waren als sonst. Er konnte sich vorstellen, wie sie mit sorgenvollem Gesicht mechanisch in der Küche ihren morgendlichen Tätigkeiten nachging, auf Isaaks Schritte lauschte und womöglich fürchtete, dass Pitt kommen würde, vor dem sie sich verstellen müsste. Zwar war es schwer, in einer solchen Zeit der Krise Fremde im Haus zu haben, doch hatte es auch Vorteile. Sie musste das Entsetzen verbergen, das sie von innen zu verzehren drohte. Die Panik wurde hinausgezögert.
    Wer auch immer Sissons getötet hatte, legte Wert darauf, das als Selbstmord hinzustellen. Pitt hatte das Beweismaterial manipuliert und sogar bewusst gelogen, damit es wie der Mord aussah, der es war. Er hatte sich entschieden, das, was er für die Wahrheit hielt, zu verbergen, um einen Aufstand zu
verhindern, wenn nicht gar eine Revolution. War das etwa lächerlich?
    Nein. Er spürte die Gewaltbereitschaft in der Luft, die Angst, die Wut, die schwelende Verzweiflung, die unter dem Einfluss weniger Worte zu lodernder Flamme emporschlagen konnten, wenn der richtige Mensch sie am richtigen Ort zur richtigen Zeit sagte. Wenn Dismore Lyndon Remus’ Bericht über den Herzog von Clarence und die Morde von Whitechapel veröffentlichte – und nach ihm alle anderen Zeitungsverleger –, würde der Volkszorn ganz London erfassen. Dann genügte ein halbes Dutzend Männer in entsprechender Position, die dazu bereit und willens waren, die Regierung samt dem Thron zu stürzen … Tod und Zerfall wären die Folge, und niemand könnte voraussagen, wo das enden würde.
    Mit seiner Verfälschung der Wahrheit hatte Pitt den Mann hintergangen, in dessen Haus er wohnte und an dessen Tisch er sein Frühstück einnehmen würde, so wie er dort am Vortag zu Abend gegessen hatte.
    Der mit dieser Erkenntnis verbundene Schmerz quälte ihn und zwang ihn aufzustehen. Er ging über den Teppich, den vermutlich Lea mit eigener Hand geknüpft hatte, zur Kommode, goss die Hälfte des Inhalts der Wasserkanne in die Schüssel, tauchte die Hände hinein und benetzte sein Gesicht.
    An wen konnte er sich um Hilfe wenden? Von Cornwallis war er abgeschnitten, außerdem waren diesem mit Sicherheit die Hände gebunden. Vielleicht würde ihn jetzt sogar Tellman verachten, denn trotz allem war der Wachtmeister in tiefster Seele konservativ, befolgte streng seine eigenen Regeln, von denen er genau wusste, wie sie aussahen. Bestimmt hatten darin Lügen, die Fälschung von Beweismaterial und Irreführung der Behörden keinen Platz – ganz gleich, welchem Zweck das dienen mochte.
    Hatte Pitt nicht selbst immer wieder gesagt, der Zweck heilige die Mittel keineswegs?
    Er hatte Narraway zumindest einen Teil der Wahrheit anvertraut. Das machte ihm Angst, verursachte ihm tiefes Unbehagen. Und was war mit Charlotte, der gegenüber er so oft von Integrität gesprochen hatte?
    Zitternd stand er eine Weile da, während er tief in

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