Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Schlachtfeld, nicht die krude, unvernünftige Welt der Politik. Wir handeln nur mit Pulver, andere benutzen es. Wofür, das ist ihre Sache.«
»Ich handele nicht mit Spitzbuben«, empörte sich der Müller, fügte jedoch hinzu: »Außerdem verbot der Rat von Köln eine Lieferung in die Niederlande.«
»Ein Verbot kann umgangen werden. Vor zwei Jahren waren auch Waffenlieferungen nach Schweden verboten, weil es der Hansestadt Lübeck den Kampf erklärte. Nicht weniger als zehn Kölner Kaufleute lieferten dennoch. Und allesamt waren sie Mitglieder unseres ehrsamen Rats.«
»Woher wißt Ihr das?«
»Informationen sind Geld wert, und mir sind Informationen nie zu teuer. Aber wenn Euch Oranien so zuwider ist, auch Elisabeth von England wäre zu interessieren. Sie rüstet auf, seit Maria Stuart in Schottland ist und sich frech die wahre Königin von England nennt. Sie fürchtet eine katholische Invasion aus dem Norden und einen Angriff Philipps aus den Niederlanden. Eine hervorragende Abnehmerin für Euer Produkt.«
»Elisabeth, die Ketzerkönigin?« Rutger verschluckte sich an dem Namen und hustete. Röchelnd rang er nach Atem. »Das, das wäre zur Zeit fast ein Hochverrat.«
Der Protest kam merkwürdig spät, zu spät, der brave Rutger hatte sich längst in den gefährlichen Plan verstrickt. Van Geldern wußte es. Er schüttelte mit gespielter Traurigkeit den Kopf. »Ihr seid ein aufrechter Mann, doch der Aufrechte wird leicht zum Narren. Es ist einträglicher, die aufgehende als die untergehende Sonne zu bewundern. Liefert mir nur Euer Pulver, ich liefere nach England nur Wein, mehr müßt Ihr nicht wissen.« Rutger nickte nachdenklich, er wußte mehr, als ihm lieb war.
6
R ebecca kniete vor der Madonnenstatue, während sie sprach. »Es ist zu schrecklich, ehrwürdiger Vater, als daß ich es auszusprechen wage.«
Der Diakon trat von hinten an sie heran. »Mir kannst du vertrauen, Rebecca, du weißt es. Sage mir, was du gesehen hast in der letzten Nacht.« Seine Stimme war sanft.
Die Magistra zögerte, dann schloß sie die Augen und sagte langsam: »Ich sah die Passion unseres Herrn. Das Haupt voll Blut und Dornen. All seine Qualen, und trotzdem lächelte er. So süß, so überirdisch schön, daß ich zu weinen begann. Er war der Tod und die Liebe und größer als beide zugleich.«
Der Diakon blickte bewundernd und mit sehnsüchtigem Schmerz auf sie hinab. »Du bist eine Gesegnete, wenn du es sahst. Sprach Christus zu dir?«
Rebecca schüttelte langsam, wie abwehrend den Kopf. »Nein, er war es nicht, der zu mir sprach. Er war es gewiß nicht. Es war nur eine Stimme.«
Der Diakon legte eine Hand auf ihr Haupt, strich sanft über den groben Schleier und erschauderte.
»Liebste Schwester, du kannst es nicht wissen, was sagte die Stimme zu dir?«
Rebecca wich seiner Hand aus und richtete sich auf.
»Erleichtere dein Herz, dein Wissen ist sicher bei mir.«
Rebecca schluckte und warf einen Blick über die Schulter. Die Augen des Diakons ruhten mit einem Ausdruck großer Freundlichkeit auf ihr. Sie seufzte. »Die Stimme, die ich vernahm, sagte: ›Ich verkünde dir die ganze und einzige Wahrheit, nämlich daß Gott im Himmel und in der Hölle und in der ganzen Welt und an jedem Ort und in jedem Ding existiert, in jeder Kreatur‹ ...« Sie zögerte, dann entschloß sie sich weiterzusprechen: »›Selbst im Dämon.‹ Und dann sah ich Tausende von Teufeln in wildem Tanz. Teufel mit Gesichtern, die ich kenne. Mit Gesichtern von Freunden, Nachbarn, Bekannten. So geht es nun schon seit einigen Tagen, meine Visionen enden in der Dämonie.«
Der Diakon schwieg. Er wußte, daß das, was er eben gehört hatte, entweder reinste Ketzerei oder das Zeugnis einer Besessenen war.
Rebecca wagte nicht, ihn anzusehen. »Vielleicht«, sagte sie leise, »ist es an der Zeit, einen Exorzismus durchzuführen. Holt mir Galisius, den kurfürstlichen Inquisitor.«
»Nein!« rief der Mann im Priesterhabit erschrocken. »Nicht diesen Dominikaner, nicht diesen Schergen der Inquisition, er würde dich verderben. Deine Seele strebt nach dem unschuldigsten Zustand, und da sie eins mit Gottes Willen ist, kann sie nicht sündigen. Galisius aber sieht in allem das Böse. Er weiß nichts von discretio spirituum, der Unterscheidung der Geister.«
»Braucht es das noch?« Rebecca seufzte müde. »Ich glaube ja selbst, daß Satan zu mir sprach.«
»Man redet es dir ein. Hör nicht auf die dummen Weiber, die dich umgeben, sie wollen deinen
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