Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
– In Folge dieses ganzen wohlthätigen Eindruckes auf unser Gemüth wird der Mond allmälig der Freund unsers Busens, was hingegen die Sonne nie wird, welcher, wie einem überschwänglichen Wohlthäter, wir gar nicht ins Gesicht zu sehn vermögen.
Als Zusatz zu dem, § 38 des ersten Bandes, über den ästhetischen Genuß, welchen das Licht, die Spiegelung und die Farben gewähren, Gesagten, finde hier noch folgende Bemerkung Raum. Die ganz unmittelbare, gedankenlose, aber auch namenlose Freude, welche der durch metallischen Glanz, noch mehr durch Transparenz verstärkte Eindruck der Farben in uns erregt, wie z.B. bei farbigen Fenstern, noch mehr mittelst der Wolken und ihres Reflexes, beim Sonnenuntergange, – beruht zuletzt darauf, daß hier auf die leichteste Weise, nämlich auf eine beinahe physisch nothwendige, unser ganzer Antheil für das Erkennen gewonnen wird, ohne irgend eine Erregung unsers Willens; wodurch wir in den Zustand des reinen Erkennens treten, wenn gleich dasselbe hier, in der Hauptsache, in einem bloßen Empfinden der Affektion der Retina besteht, welches jedoch, als an sich von Schmerz oder Wollust völlig frei, ohne alle direkte Erregung des Willens ist, also dem reinen Erkennen angehört.
Kapitel 31.Vom Genie
Die überwiegende Fähigkeit zu der in den beiden vorhergegangenen Kapiteln geschilderten Erkenntnißweise, aus welcher alle ächten Werke der Künste, der Poesie und selbst der Philosophie entspringen, ist es eigentlich, die man mit dem Namen des Genies bezeichnet. Da dieselbe demnach zu ihrem Gegenstande die (Platonischen) Ideen hat, diese aber nicht in abstracto , sondern nur anschaulich aufgefaßt werden; so muß das Wesen des Genies in der Vollkommenheit und Energie der anschauenden Erkenntniß liegen. Dem entsprechend hören wir als Werke des Genies am entschiedensten solche bezeichnen, welche unmittelbar von der Anschauung ausgehn und an die Anschauung sich wenden, also die der bildenden Künste, und nächstdem die der Poesie, welche ihre Anschauungen durch die Phantasie vermittelt. – Auch macht sich schon hier die Verschiedenheit des Genies vom bloßen Talent bemerkbar, als welches ein Vorzug ist, der mehr in der größern Gewandtheit und Schärfe der diskursiven, als der intuitiven Erkenntniß liegt. Der damit Begabte denkt rascher und richtiger als die Uebrigen; das Genie hingegen schaut eine andere Welt an, als sie Alle, wiewohl nur indem es in die auch ihnen vorliegende tiefer hineinschaut, weil sie in seinem Kopfe sich objektiver, mithin reiner und deutlicher darstellt.
Der Intellekt ist, seiner Bestimmung nach, bloß das Medium der Motive: demzufolge faßt er ursprünglich an den Dingen nichts weiter auf, als ihre Beziehungen zum Willen, die direkten, die indirekten, die möglichen. Bei den Thieren, wo es fast ganz bei den direkten bleibt, ist eben darum die Sache am augenfälligsten: was auf ihren Willen keinen Bezug hat, ist für sie nicht da. Deshalb sehn wir bisweilen mit Verwunderung, daß selbst kluge Thiere etwas an sich Auffallendes gar nicht bemerken, z.B. über augenfällige Veränderungen an unserer Person oder Umgebung kein Befremden äußern. Beim Normalmenschen kommen nun zwar die indirekten, ja die möglichen Beziehungen zum Willen hinzu, deren Summe den Inbegriff der nützlichen Kenntnisse ausmacht; aber in den Beziehungen bleibt auch hier die Erkenntniß stecken. Daher eben kommt es im normalen Kopfe nicht zu einem ganz rein objektiven Bilde der Dinge; weil seine Anschauungskraft, sobald sie nicht vom Willen angespornt und in Bewegung gesetzt wird, sofort ermattet und unthätig wird, indem sie nicht Energie genug hat, um aus eigener Elasticität und zwecklos die Welt rein objektiv aufzufassen. Wo hingegen dies geschieht, wo die vorstellende Kraft des Gehirns einen solchen Ueberschuß hat, daß ein reines, deutliches, objektives Bild der Außenwelt sich zwecklos darstellt, als welches für die Absichten des Willens unnütz, in den höhern Graden sogar störend ist, und selbst ihnen schädlich werden kann; – da ist schon wenigstens die Anlage zu jener Abnormität vorhanden, die der Name des Genies bezeichnet, welcher andeutet, daß hier ein dem Willen, d.i. dem eigentlichen Ich, Fremdes, gleichsam ein von außen hinzukommender Genius , thätig zu werden scheint. Aber ohne Bild zu reden: das Genie besteht darin, daß die erkennende Fähigkeit bedeutend stärkere Entwickelung erhalten hat, als der Dienst des Willens , zu welchem allein sie
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