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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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ursprünglich entstanden ist, erfordert. Daher könnte, der Strenge nach, die Physiologie einen solchen Ueberschuß der Gehirnthätigkeit und mit ihr des Gehirns selbst, gewissermaaßen den monstris per excessum beizählen, welche sie bekanntlich den monstris per defectum und denen per situm mutatum nebenordnet. Das Genie besteht also in einem abnormen Uebermaaß des Intellekts, welches seine Benutzung nur dadurch finden kann, daß es auf das Allgemeine des Daseyns verwendet wird; wodurch es alsdann dem Dienste des ganzen Menschengeschlechts obliegt, wie der normale Intellekt dem des Einzelnen. Um die Sache recht faßlich zu machen, könnte man sagen: wenn der Normalmensch aus 2/3 Wille und 1/3 Intellekt besteht; so hat hingegen das Genie 2/3 Intellekt und 1/3 Wille. Dies ließe sich dann noch durch ein chemisches Gleichniß erläutern: die Basis und die Säure eines Mittelsalzes unterscheiden sich dadurch, daß in jeder von Beiden das Radikal zum Oxygen das umgekehrte Verhältniß, von dem im andern, hat. Die Basis nämlich, oder das Alkali, ist dies dadurch, daß in ihr das Radikal überwiegend ist gegen das Oxygen, und die Säure ist dies dadurch, daß in ihr das Oxygen das Ueberwiegende ist. Eben so nun verhalten sich, in Hinsicht auf Willen und Intellekt, Normalmensch und Genie. Daraus entspringt zwischen ihnen ein durchgreifender Unterschied, der schon in ihrem ganzen Wesen, Thun und Treiben sichtbar ist, recht eigentlich aber in ihren Leistungen an den Tag tritt. Noch könnte man als Unterschied hinzufügen, daß, während jener totale Gegensatz zwischen den chemischen Stoffen die stärkste Wahlverwandtschaft und Anziehung zu einander begründet, beim Menschengeschlecht eher das Gegentheil sich einzufinden pflegt.
    Die zunächst liegende Aeußerung, welche ein solcher Ueberschuß der Erkenntnißkraft hervorruft, zeigt sich meistentheils in der ursprünglichsten und grundwesentlichsten, d.i. der anschauenden Erkenntniß, und veranlaßt die Wiederholung derselben in einem Bilde: so entsteht der Maler und der Bildhauer. Bei diesen ist demnach der Weg zwischen der genialen Auffassung und der künstlerischen Produktion der kürzeste: daher ist die Form, in welcher hier das Genie und seine Thätigkeit sich darstellt, die einfachste und seine Beschreibung am leichtesten. Dennoch ist eben hier die Quelle nachgewiesen, aus welcher alle ächten Produktionen, in jeder Kunst, auch in der Poesie, ja, in der Philosophie, ihren Ursprung nehmen; wiewohl dabei der Hergang nicht so einfach ist.
    Man erinnere sich hier des im ersten Buche erhaltenen Ergebnisses, daß alle Anschauung intellektual ist und nicht bloß sensual. Wenn man nun die hier gegebene Auseinandersetzung dazu bringt und zugleich auch billig berücksichtigt, daß die Philosophie des vorigen Jahrhunderts das anschauende Erkenntnißvermögen mit dem Namen der »untern Seelenkräfte« bezeichnete; so wird man, daß Adelung , welcher die Sprache seiner Zeit reden mußte, das Genie in »eine merkliche Stärke der untern Seelenkräfte« setzte, doch nicht so grundabsurd, noch des bittern Hohnes würdig finden, womit Jean Paul , in seiner Vorschule der Aesthetik, es anführt. So große Vorzüge das eben erwähnte Werk dieses bewunderungswürdigen Mannes auch hat; so muß ich doch bemerken, daß überall, wo eine theoretische Erörterung und überhaupt Belehrung der Zweck ist, die beständig witzelnde und in lauter Gleichnissen einherschreitende Darstellung nicht die angemessene seyn kann.
    Die Anschauung nun aber ist es, welcher zunächst das eigentliche und wahre Wesen der Dinge, wenn auch noch bedingterweise, sich aufschließt und offenbart. Alle Begriffe, alles Gedachte, sind ja nur Abstraktionen, mithin Theilvorstellungen aus jener, und bloß durch Wegdenken entstanden. Alle tiefe Erkenntniß, sogar die eigentliche Weisheit, wurzelt in der anschaulichen Auffassung der Dinge; wie wir dies in den Ergänzungen zum ersten Buch ausführlich betrachtet haben. Eine anschauliche Auffassung ist allemal der Zeugungsproceß gewesen, in welchem jedes ächte Kunstwerk, jeder unsterbliche Gedanke, den Lebensfunken erhielt. Alles Urdenken geschieht in Bildern. Aus Begriffen hingegen entspringen die Werke des bloßen Talents, die bloß vernünftigen Gedanken, die Nachahmungen und überhaupt alles auf das gegenwärtige Bedürfniß und die Zeitgenossenschaft allein Berechnete.
    Wäre nun aber unsere Anschauung stets an die reale Gegenwart der Dinge gebunden; so würde ihr Stoff

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