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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Ich mochte sie wirklich gern.«
    »Keine Ahnung. Warum nimmst du ihn immer in Schutz, Mutter? Warum interessierst du dich nie dafür, was ich tue?«
    »Also? Gibt es jemand Neues in deinem Leben, Clara?«
    »Mein Gott, Mutter!« Reiten andere Eltern auch ständig darauf herum? »Was ist eigentlich aus euren Hochzeitsplänen geworden? Davon redet keiner mehr.«
    »Welche Hochzeit? Ihr habt mir gar nix von einer Hochzeit gesagt!«, ruft Oolie.
    Hoppla!
    »Also ... wie würdest du es finden, wenn Doro und ich heiraten würden, Oolie?«, fragt Marcus.
    Doro verdreht die Augen und geht in die Küche, um nach dem Brot sehen.
    Clara trinkt schnell ihren Tee aus und bleibt nicht, um sich Marcus’ und Doros Aussprache mit Oolie anzuhören. Sie findet das Trio irgendwie anstrengend – Doro und Marcus, die sorasch zu altern scheinen, und Oolie, die überhaupt nicht altert und scheinbar in ewiger Kindheit erstarrt ist.
    Was wird aus Oolie, wenn Marcus und Doro sich nicht mehr um sie kümmern können? Wird dann Clara sie »erben«, zusammen mit der Protest-Poster-Sammlung von 1968, den T-Shirts mit den Sprüchen und Marcus’ unvollendetem Manuskript? Sie muss mit ihrem Bruder darüber sprechen.
    Auf der Heimfahrt nach Sheffield atmet sie den Duft der frisch gebackenen Brötchen ein, die Doro und Oolie ihr mitgegeben haben, und fragt sich nach dem wirklichen Grund, warum Serge nie ans Telefon geht.

Serge
    Wodka
    Serge schlägt blinzelnd die Augen auf. Er ist immer noch im Handelsraum, und die Uhr in der Ecke des Fernsehbildschirms zeigt immer noch dasselbe Datum – 29. September 2008.
    Das ist gut. Es ist 18.40 Uhr.
    Behutsam schließt er die Augen, dann öffnet er sie wieder: 19.02 Uhr.
    »Was ist los?« Maroushka steht mit einem Glas Wasser über ihm.
    Zumindest sieht es aus wie Wasser. Als sie es ihm an die Lippen hält, merkt er, dass es Wodka ist.
    »Nichts. Alles gut.« Er versucht zu beweisen, wie gut es ihm geht, indem er sich aufsetzt, um einen Schluck zu trinken, aber ihm wird schwindelig, und er sinkt wieder auf den Schreibtisch. »Mir war nur ein bisschen schwummerig.«
    »Schummelig? Nicht normal?«
    »Was ist mit Timo passiert?«
    »Polizei verhaftet.«
    »Warum? Was hat er getan?«
    Sein Herz fängt wieder zu hämmern an. Bumm! Bumm! Bumm! Bumm! Wie lange wird es dauern, bis sie merken, dass sie den Falschen verhaftet haben? Sie legt sich einen rotlackierten Finger an die Nase und zwinkert ihm zu. Einen Augenblick lang verrutscht die Maske der City-Frau, und sie sieht aus wie eine freche Zwölfjährige.
    »Ich finde raus.«
    Wenn das Betrugsdezernat erst auf der Matte steht, hat er keine Chance. Sobald Timo den Mund aufmacht, merken sie, dass sie den Falschen haben, und dann können sie ihn über das blöde Dr.-Black-Konto ruckzuck aufspüren.
    Was, wenn es eine vollkommen simple Erklärung für Chickens 1601-Konto gibt?
    Was, wenn es am Ende doch bei der Compliance-Abteilung registriert ist?
    Was, wenn ...?
    Die meisten haben den Handelsraum verlassen, nur die Inder in der Devisenecke arbeiten noch fieberhaft an irgendeinem späten Deal. Der Rest der Quants ist bei Franco’s, sagt Maroushka, um Lucians Geburtstag zu feiern.
    »Wir gehen auch, Sergej?«
    »Gleich.«
    Er nimmt ihre Hand und zieht sie an sich. Sie sträubt sich nicht. Ihr Körper lehnt leicht an seinem, ihr Schenkel ist an sein Knie gedrückt. Ihr Parfum füllt seine Nüstern.
    »Das Leben steht wie ein ewiger Frühling mit neuen glänzenden Farben vor mir.«
    »Du redest verrückt, Sergej.«
    »Carl Friedrich Gauß. Nicht verrückt. Sublim.«
    Sie kippt ein wenig Wodka in seinen offenen Mund.
    »Trink.«
    Er hustet und prustet. »Verdammt. Hast du immer eine Flasche Wodka in der Handtasche?«
    »Ich hab für Notfalle.«
    »Ich liebe dich.«
    Da, jetzt ist es raus. Hätte er darüber nachgedacht, hätte er es wahrscheinlich nicht gesagt. Und sie zuckt nicht voller Ekel zurück, sondern lächelt wieder ihr Zwölfjährigenlächeln und trinkt einen Schluck Wodka.
    »Ich glaub, du bist immer noch schummelig, Sergej.«
    Sie macht sich los, aber ihre Hand bleibt auf seiner Schulter liegen.
    »Lauf mit mir weg, Maroushka.«
    Obwohl er ihren Namen im Kopf so oft gesagt hat, ist es das erste Mal, dass er ihn laut ausspricht. Die Konsonanten verschmelzen in seinem Mund. Sie lacht. Sie merkt nicht, dass er es todernst meint.
    »Warum weglaufen?«
    »Ich habe ...«
    Der Wodka stimmt ihn leicht und vage optimistisch.
    Prinzessin Maroushka!
    Höre Serges

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