Die wir am meisten lieben - Roman
Zeit seines Lebens. Jeden Tag |266| lernte er etwas Neues von Cal. Am liebsten hatte er es, wenn Cal von den Blackfeet erzählte und seiner Familie, von dem, was sie machten und woran sie glaubten, von den Jagdritualen und ihren Zeremonien, den Pfeifen und Medizinbeuteln und all diesen Sachen. Cal brachte ihm sogar einige Wörter der Sprache der Blackfeet bei, und manchmal, wenn sie abends hinaus in die Steppe ritten, nur sie beide, damit die Pferde Auslauf bekamen, bat Tom Cal, ihn abzufragen.
»Okay, was heißt Berglöwe?«
»Omachk-atayo.«
»Und was bedeutet es?«
»Großer Heuler.«
»Gut. Wolf?«
»Das ist einfach. Makwi.«
»Elch?«
»Mist. Das vergesse ich immer.«
»Klingt wie ein Niesen.«
»Siks-tsisoo!«
»Sehr gut! Und was bedeutet es?«
»Etwas dringt hervor. Schwarz! Schwarz dringt hervor.«
»Hey, Tom. Du machst das toll. Wie heißt das Wort für Freund?«
»Nitakau.«
Sie ritten nebeneinanderher. Cal berührte Tommys Schulter und wiederholte das Wort.
»Nitakau.«
Nach einem dieser Ausritte – zwei Wochen vor Ende der Dreharbeiten in Arizona – ertappte er eines Abends Ray in flagranti.
Cal war im Stall und untersuchte eines der Pferde, das am Tage einen Schlag gegen das Bein bekommen hatte. Abgesehen von dem hoffnungslos alten Wachmann am Tor zur Ranch zweihundert Meter weiter weg war kein Mensch da. Tommy |267| hatte die Sättel in die Scheune getragen und trat zur Tür hinaus, als er das Lachen einer Frau hörte, dann jemanden, der ihr zu verstehen gab, leise zu sein. Die Stimmen kamen vom Parkplatz, der mit einem Seil abgesperrt war, nicht weiter als zwanzig Meter entfernt. Dort befanden sich die Trucks und die Wohnwagen der Schauspieler. In keinem brannte Licht. Tommy glaubte, er habe sich verhört, habe nur das Wiehern eines Pferdes gehört oder das Heulen eines Kojoten. Dann sah er, wie sich die Tür zu Rays Wohnwagen öffnete und eine Frau die Stufen herunterkletterte. Er erstarrte. Die Frau blickte sich um, sah ihn jedoch nicht. Dann eilte sie fort. Es war Leanne. Kein Zweifel.
»Okay, junger Mann, ab nach Hause«, sagte Cal. »Deine Mutter wundert sich bestimmt schon, was ich mit dir angestellt habe.«
Tommy sagte nichts. Cal hatte Leanne offenbar nicht gesehen. Sie stiegen in den Pick-up. Cal startete den Motor und schaltete die Scheinwerfer ein. Sie fuhren an dem Wohnwagen vorbei. Tommy blickte zur Seite und erkannte Rays Gesicht im Fenster.
Wenig später erblickten sie Leanne im Licht der Scheinwerfer. Sie drehte sich um, lächelte und schützte die Augen gegen das Licht. Cal fragte sie, ob er sie mitnehmen solle. Sie bedankte sich, sie gehe nur spazieren.
Zu Hause begrüßte sie Diane.
»Habt ihr beiden euch denn nie über?«
Cal lachte, sagte gute Nacht und fuhr davon.
Diane hatte Tommy eine Wanne eingelassen. Er legte sich ins warme Wasser und war beunruhigt über das, was er beobachtet hatte. Es war eine Szene, die in eine Welt gehörte, für die er noch zu jung war. Vielleicht irrte er sich. Vielleicht gab es eine einfache Erklärung. Er verbrachte die meiste Zeit mit den Cowboys, Leanne hatte nicht viel zu tun und war inzwischen |268| eine Art Assistentin – mehr Dianes, aber auch Rays. Sie musste in die Stadt fahren, Besorgungen machen, Nachrichten annehmen, dergleichen Dinge. Vielleicht war sie darum im Wohnwagen gewesen. Dann erinnerte er sich an andere Male, da er die beiden zusammen gesehen hatte, wie Ray sie immer aufzog und zum Kichern brachte. Erst gestern hatte er ihre Handflächen innig studiert und so getan, als sage er ihr die Zukunft voraus. Manchmal wusste man einfach Bescheid, weil sich die Leute auf eine bestimmte Art ansahen. Vielleicht sollte er Diane alles sagen. Ja, er sollte es ihr sagen. Was aber, wenn es nicht wahr war? Manchmal bekam er Ärger, wenn er ihr etwas von Ray erzählte. Wie neulich, als er einen Witz erzählte, den Ray vor Denny zum Besten gegeben hatte.
Was sagt man einer Frau, die zwei blaue Augen hat?
Weiß nicht.
Nichts. Sie hat es schon zweimal gesagt bekommen.
Tommy verstand den Sinn nicht, aber Denny hatte laut gelacht, es musste also lustig gewesen sein. Als er den Witz Diane erzählte, wurde sie wütend und ermahnte ihn, sie wolle so etwas nie mehr von ihm hören.
Er stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und putzte die Zähne am Waschbecken. Diane saß an seinem Bett, erzählte irgendetwas Lustiges, das John Grayling von sich gegeben hatte. Tommy tat so, als höre er zu. Er zog den Schlafanzug an und
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