Die Wohlgesinnten
sie spannen die Juden selbst für die Aufgabe ihrer Vernichtung ein. Natürlich haben die Juden ihre eigenen Ziele, ihre eigenen Träume. Aber die Träume der Juden nutzen uns auch. Sie träumen von maßloser Bestechung, sie bieten uns ihr Geld und ihr Gut an. Wir nehmen dieses Geld und Gut, und wir führen unsere Aufgabe fort. Sie träumen von wirtschaftlichen Bedürfnissen der Wehrmacht, von dem Schutz,den ihnen Arbeitspapiere gewähren, und wir, wir nutzen diese Träume, um unsere Rüstungsfabriken personell zu versorgen, um uns die notwendigen Arbeitskräfte für den Bau unserer verzweigten unterirdischen Anlagen zu verschaffen und um uns auch die Schwachen und die Alten übergeben zu lassen, die unnützen Esser. Aber machen Sie sich eines klar: Die Ausmerzung der ersten Hunderttausend Juden ist sehr viel leichter als die der letzten Fünftausend. Schauen Sie sich an, was in Warschau geschehen ist und bei den anderen Aufständen, von denen uns Standartenführer Hauser berichtet hat. Als der Reichsführer mir den Bericht über die Kämpfe in Warschau schickte, schrieb er dazu, es gelänge ihm nicht zu glauben, dass Juden in einem Getto derartigen Widerstand leisten könnten. Und doch hat unser viel zu früh verstorbener Chef , Obergruppenführer Heydrich, das schon vor langer Zeit begriffen. Er wusste, dass die stärksten Juden, die widerstandsfähigsten, gerissensten, schlauesten allen Selektionen entgehen und am schwersten zu vernichten sein würden. Nun bilden aber genau sie den vitalen Keim, aus dem das Judentum wieder hervorwachsen könnte, die bakterielle Zelle der jüdischen Erneuerung, wie der verstorbene Obergruppenführer sagte. Wir führen den Kampf von Koch und Pasteur lediglich weiter, wir dürfen nicht auf halbem Wege stehen bleiben …« Seine Worte wurden mit donnerndem Applaus aufgenommen. Glaubte Eichmann das wirklich? Ich hörte ihn zum ersten Mal derartig sprechen, ich hatte den Eindruck, dass ihm seine neue Rolle zu Kopf stieg, er sich hinreißen ließ und ihm das Spiel so sehr gefiel, dass er ganz darin aufging. Trotzdem, seine sachlichen Kommentare waren keineswegs dumm, es war deutlich zu merken, dass er alle vergangenen Erfahrungen aufmerksam analysiert und daraus die wichtigsten Lehren gezogen hatte. Beim Abendessen – Six hatte aus Höflichkeit und in Erinnerung an alte Zeiten Thomas und mich zu einem kleinen privaten Souper eingeladen– äußerte ich mich lobend über Eichmanns Rede. Doch Six, der seine griesgrämige und deprimierte Miene überhaupt nicht mehr loswurde, beurteilte sie weit negativer: »Keinerlei geistiges Interesse. Er ist ein ziemlich einfacher Mensch, ohne besondere Fähigkeiten. Natürlich ist er energisch und besitzt in den engen Grenzen seines Aufgabenbereichs auch gewisse Fähigkeiten.« – »Genau«, sagte ich, »ein guter Offizier, motiviert und auf seine Weise talentiert. Ich denke, er wird es noch weit bringen.« – »Das würde mich wundern«, warf Thomas trocken ein. »Er ist zu stur. Der Mann ist eine Bulldogge, ein begabter Handlanger, ohne jede Fantasie und unfähig, auf Ereignisse außerhalb seines Aufgabenbereichs zu reagieren und sich weiterzuentwickeln. Er hat seine Karriere auf den Juden aufgebaut, auf der Vernichtung der Juden, und das macht er ausgezeichnet. Doch wenn wir eines Tages mit den Juden fertig sein sollten – oder wenn der Wind sich drehen und die Vernichtung der Juden nicht mehr auf der Tagesordnung stehen sollte –, wird er sich nicht anpassen können, dann ist er verloren.«
Am folgenden Tag wurde die Konferenz mit unbedeutenden Rednern fortgesetzt. Eichmann blieb nicht, er hatte zu tun: »Ich muss zu einer Inspektion nach Auschwitz, dann nach Budapest zurück. Da unten tut sich was.« Ich selbst reiste am 5. April ab. In Ungarn erfuhr ich, dass der Führer gerade seine Einwilligung zur Verwendung jüdischer Arbeiter auf dem Reichsgebiet gegeben hatte: Da nun die Ungewissheit beseitigt war, sprachen die Männer Speers und des Jägerstabs alle Augenblicke bei mir vor, um in Erfahrung zu bringen, wann sie die ersten Schübe erwarten könnten. Ich sagte ihnen, sie müssten Geduld haben, die Operation sei noch nicht angelaufen. Eichmann kehrte fuchsteufelswild aus Auschwitz zurück und fluchte auf die Kommandanten: »Vollidioten, unfähige Schwachköpfe. Nichts ist für den Empfang vorbereitet.« Am 9. April … ach, wozu Tag für Tagauf diesen Einzelheiten herumreiten? Es ermüdet mich, außerdem langweilt es mich – und euch
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