Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Seite, und an der Wand gegenüber hängt ein Kreuz.
Ich trockne mir das Haar.
Zusammen mit dem Schlüssel für das Zimmer habe ich ein kleines Handtuch erhalten, das ich jetzt benutze, und ein Stück Seife, das mich für einen Moment getäuscht hat. Aber dann habe ich daran gerochen und die Bestätigung dafür erhalten, dass es sich nicht um ein seltenes Seifenstück von vor der Katastrophe handelt, sondern um ein neueres Produkt, aus Fett hergestellt und mit ein paar Tropfen Parfüm »veredelt«.
Ich habe mich selbst aufgefordert, nicht zimperlich zu sein. Seife ist Seife, habe ich mir gesagt. Wasch einfach die Müdigkeit ab, den Geruch des Todes, der an dir haftet. Den Geruch, den sie mir auf die Kleidung spritzen werden, wenn wir diesen Ort verlassen.
Die Dusche war tatsächlich nur lauwarm; das Wasser dampfte kaum im großen Gemeinschaftsbad. Dafür dampfte mein Atem, als ich von einem Fuß auf den anderen trat, um den Blutkreislauf in Gang zu halten. Allein und nackt stand ich in dem großen Raum mit den zwölf offenen, durch nichts voneinander getrennten Duschen. Das Licht stammte von einer Neonröhre. Die Leitungen vibrierten, und manchmal kam plötzlich kein Wasser mehr. Wenn es dann zurückkehrte, war es rot von Rost. Aber es ist eine Dusche, sagte ich mir und hielt den Kopf ins lauwarme Wasser, das mir die Seife aus dem Haar spülte.
Auf dem Nachtschränkchen liegt ein Buch. Ich rechne mit einer Bibel, aber es ist ein Überlebenshandbuch. Eines jener Bücher, als die Welt reich und in Frieden war, als die Menschen eine gewisse Aufregung verspürten, wenn sie darüber lasen, wie man eine Ratte häutet und kocht oder wie man Schaben jagt.
Ich öffne das Buch. Es hat einem Mann namens Massimo Oliviero gehört und ist in einem guten Zustand, obwohl Wasser oder eine andere farblose Flüssigkeit die letzten Seiten ruiniert hat. Ich blättere ein wenig und bin bei der Stelle angelangt, wo erklärt wird, wie man Töpfe aus Birkenrinde herstellen kann, als jemand an die Tür klopft.
»Einen Moment.« Ich reibe mir noch einmal das Haar ab. »Bin gleich da.«
Ich öffne, und vor mir steht Hauptmann Durand.
»Kommen Sie. Man erwartet uns zum Essen.«
So gut habe ich seit Jahren nicht gegessen.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten hatte ich keine Gelegenheit, frischen Fisch zu genießen. Und so erscheint es mir wie ein Wunder, als ich ihn auf meinem Teller erblicke.
»Einer unserer Techniker kam auf die Idee«, sagt Adèle mit ihrem französischen Akzent, der mir heute so exotisch erscheint. Und etwas Exotisches findet sich auch in ihrem Gesicht, vor allem bei den Augen.
»Er hat das Buch eines Engländers gelesen, ein altes, illustriertes Buch, das den Aufbau eines autarken Bauernhofes beschrieb, und zwar so gut, dass selbst ein Kind verstanden hätte, wie man vorgehen muss. Leider waren in unserem Fall die praktischen Möglichkeiten sehr beschränkt, denn draußen lässt sich nichts anbauen, und Nutztiere haben wir nicht. Doch im Lauf der Jahre hatten wir auch das Glück auf unserer Seite. In einer unterirdischen Zisterne fanden wir einige Karpfen – wer weiß, wie sie dorthin gekommen sind. Auf Initiative des Technikers haben wir ein Becken angelegt, in dem wir sie züchten. Wir essen sie nur sehr selten, ausschließlich bei besonderen Anlässen. Ihr Besuch ist ein solcher Anlass.«
»Mir scheint er kein besonderes Ereignis zu sein.«
Adèle seufzt. »In diesem Gebäude ist nie eine Messe zelebriert worden. Bitte verzeihen Sie meine Offenheit, wenn ich sage, dass mir dadurch nichts fehlt, aber die anderen – fast alle – bedauern das. Ich habe mich also gefragt …«
»Ob ich die Messe lesen könnte?«
»Ja.«
»Gern.«
»Also gut. Nachher. Zuerst essen wir.«
Zusammen mit dem Fisch wird gekochtes Gemüse serviert: Kartoffeln, Karotten und einige pikante Wurzeln. Es folgt ein zweiter Gang, der aus zartem, saftigem Fleisch besteht, mit Reis als Beilage. Wie wir in unserer unterirdischen Welt festgestellt haben, hält vakuumverpackter Reis weit über das Haltbarkeitsdatum hinaus.
Fleisch habe ich schon so lange nicht mehr gegessen, dass mir beim ersten Bissen der Atem stockt – so gut schmeckt es. Schweinefleisch, nach dem Aroma zu urteilen. Ich frage mich, warum die Bewohner dieses Ortes so traurig wirken. Alle halten den Blick gesenkt, rühren das Essen kaum an und sind sehr mager.
Durand und seine Soldaten hingegen essen mit solchem Heißhunger, als wollten sie auch die Teller verspeisen.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher