Die Zarin der Nacht
führt Böses im Schilde.
Eines Nachmittags â es ist an einem Mittwoch â verzieht Saschenka Lanskoj gequält das Gesicht. »Die Schmerzen in meinem Hals wollen einfach nicht aufhören«, sagt er. »Sie werden mich noch unter die Erde bringen.«
»Schon wieder gelogen!« Sie will den Geliebten aufheitern. Sie befiehlt ihm, seine Worte in ein Taschentuch zu spucken, das sie dann mit lässiger Geste aus dem Fenster wirft. Ein Windstoà erfasst es und trägt es fort über die Gärten von Zarskoje Selo. »Schlechte Laune ist ein Laster«, bemerkt sie. »Du bist erst sechsundzwanzig â uns bleibt noch eine Menge Zeit, gemeinsam zu altern, und ich werde wohl etliche Jahre vor dir senil werden.«
Sein ovales Gesicht ist glattrasiert und ungeschminkt. Er trägt einfache Perücken und benutzt Puder mit Veilchenduft. »Du hilfst mir denken«, hat er einmal zu ihr gesagt. »Und du gibst mir Stoff zum Denken«, hat sie erwidert.
Er geht auf ihr Spiel ein: »Ja, wahrscheinlich brauche ich nur ein bisschen Ruhe. Vielleicht ist es am besten, ich lege mich ein Stündchen hin.« Eigentlich ist es ganz gegen seine Natur, untertags zu schlafen. Sie haben den gleichen Tagesrhythmus: Beide stehen gerne früh am Morgen auf und schlafen abends schnell und ohne Schwierigkeiten ein.
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Saschenka zieht sich in sein Zimmer zurück, während sie es sich in der Galerie mit einem Buch gemütlich macht. Lord Chesterfields Briefe an seinen Sohn. Sie sind voller kluger Ratschläge, die sie sich merken will, um sie an ihren Enkel weiterzugeben. Er ist jetzt in einem Alter, wo er lernen muss, dass eine gute Handschrift wichtig ist. Und es wird Zeit für erste Lektionen in der Kunst, sich je nach Situation und Publikum passend auszudrücken. Wie würdest du dies oder jenes deinem Lehrer erzählen? Oder deinem kleinen Bruder? Oder dem Kammerdiener?
Saschenka kommt nach einer Stunde wieder. Der Schlaf hat ihm gutgetan, seine Ãngste sind verflogen â er macht sogar Scherze darüber. Er hat gelbe Löwenaugen, die in dem blassen Gesicht sehr intensiv wirken.
»Du hast dich jetzt genug für das Reich aufgeopfert, Katinka. Lass uns einen Spaziergang machen.« Er bietet ihr seinen Arm. Wie eifrig bemüht er ist, ihr angenehm zu sein. Dafür liebt sie ihn. Er trägt den weiÃen Anzug, den sie ihm geschenkt hat. Die Weste ist mit silbernen und roten Paradiesvögeln bestickt.
Sie spazieren rund um den Teich, vorbei an einem kleinen Obelisken. Er bezeichnet die Stelle, an der einige ihrer geliebten Hunde begraben liegen. Sir Tom, der immer nach den Absätzen von Besuchern geschnappt hat, die für seinen Geschmack zu schnell gingen. Lady Tomasina, die jedes Mal vor Aufregung in die Luft sprang, wenn sie nur von weitem ein Eichhörnchen sah.
Sie unterhalten sich.
Ãber Petit-Point-Stickerei, die sie so gern mag, weil die kräftigen Farben sie an Pfauenfedern erinnern. Ãber einige sehr schön geschnittene Gemmen, die bald per Schiff aus Hamburg eintreffen sollen und die sie ihm schenken will. Ãber Saschenkas Fortschritte in der Kunst der Intarsienschnitzerei. Sie findet sein kunsthandwerkliches Geschick bewundernswert, aber er ist noch lange nicht mit sich zufrieden. »Ich habe mich an einem Kranich versucht«, gesteht er mit verlegenem Grinsen. »Aber er sieht eher aus wie eine Ente.«
Als sie wieder in den Palast zurückgekehrt sind, möchte er noch eine Partie Reversis spielen. »Sei so nett, Katinka, du weiÃt doch, wie gerne ich gewinne«, bittet er.
Sie tut ihm den Gefallen. »Siehst du«, sagt sie und zeigt ihm ihre letzte Karte, die Pik-Dame, »ich muss mich geschlagen geben.«
»Morgen spielen wir wieder«, sagt er und greift nach einem
Glas mit Himbeerkwass. Er verzieht das Gesicht vor Schmerz, als er schluckt.
Erst da bemerkt sie, dass seine Augen fiebrig glänzen. »Geh schlafen, Saschenka«, sagt sie. »Du musst dich ausruhen.«
Er gehorcht, wenn auch widerstrebend. An der Schwelle bleibt er noch einmal stehen und dreht sich nach ihr um, bevor er hinausgeht. Eine Stunde später schickt sie einen Pagen zu ihm, der sich erkundigen soll, wie es ihm geht. Sie muss immer daran denken, wie er zusammengezuckt ist, als er von dem Glas trank, und macht sich Sorgen. Der Page kommt nach kurzer Zeit zurück.
»Monsieur Lanskoj«, meldet er, »hat gerade
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