Die Zauberer 01 - Die Zauberer
während sie selbst nach einem der Übungszauberstäbe griff, die am Eingang des Arenensaals auf einem Tisch mit schwungvoll geschnitzten Beinen bereitlagen. »Diese Ichsucht! Diese Ignoranz! Und immer wieder dieses Selbstmitleid! Denkst du denn nie darüber nach«, fragte sie, während sie den Zauberstab in der Hand kreisen ließ und damit bedrohlich auf Granock zutrat, »dass Farawyn etwas riskiert hat, indem er dich zum Schüler nahm?«
»Das musste er nicht«, wehrte Granock ab. »Ich habe ihn nie darum gebeten. Vielleicht ist es gut, wenn ich gehe, dann kann er sich einen anderen Schüler nehmen. Einen Elfen, der seine Erwartungen erfüllt.«
»Glaubst du denn, das könnte er noch?« Alannah begann ihn zu umkreisen, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt und das Haupt gesenkt, wie eine Raubkatze kurz vor dem Angriff, während sie den Zauberstab in der Hand locker umherwirbeln ließ. »Meister Farawyn hat alles aufs Spiel gesetzt, indem er dich nach Shakara holte: seinen guten Ruf, seinen Stand, seinen Einfluss. Denkst du nicht, dass du ihm etwas schuldig bist?«
»Nein!«, rief Granock trotzig, der sich immerzu um seine Achse drehte, um die Elfin im Auge zu behalten. »Ich habe ihn nie um seine Hilfe gebeten. Er hätte mich ebenso gut auch in Andaril lassen können.«
»Du Trottel!«, schalt sie ihn. »Begreifst du denn nicht, dass es hier um sehr viel mehr geht, als dir das Zaubern beizubringen? Du bist ein Symbol, Granock! Und ein Experiment!«
»Was soll denn das wieder heißen?«, fragte Granock, verwirrt von ihren Worten, obwohl er zugeben musste, dass er sich tatsächlich so vorkam: wie ein Experiment, das allerdings gründlich danebengegangen war.
»Meister Farawyns geistige Kräfte, seine Visionen und Träume, haben ihm offenbart, dass wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen - einer Epoche, in der Menschen und Elfen gleichberechtigt nebeneinander leben. Du bist sein Versuch, die anderen Zauberer davon zu überzeugen und zu beweisen, dass ihr Menschen uns Elfen ebenbürtig seid.«
»Ich? Aber...«
»Die meisten Elfen«, fuhr Alannah unbarmherzig fort, »sehen in euch Menschen nur Barbaren, die ihren Instinkten folgen wie Tiere. Farawyn und wenige andere jedoch sind der Überzeugung, dass noch ungleich mehr in euch steckt. Gelingt es ihm, einen menschlichen Novizen zum Zauberer auszubilden, wäre dies ein erster schlagkräftiger Beweis dafür und würde viele Elfen dazu bringen, ihre Einstellung euch Menschen gegenüber zu überdenken. Misslingt der Versuch, werden sich jene bestätigt sehen, die in euch nie etwas anderes gesehen haben als grunzende Totschläger. Dann wird Farawyn seinen Sitz im Rat verlieren und die Menschen den einzigen Fürsprecher, den sie bei den Elfen haben. Verstehst du jetzt, worum es in Wirklichkeit geht? Und warum Farawyn dabei weitaus mehr riskiert als du? Du hast eine Verantwortung!«
»Nein!«, widersprach Granock abermals. Alannahs Argumentation leuchtete ihm zwar ein, aber erneut spürte er die bohrende Angst zu versagen in sich. Diese Verpflichtung war zu viel für ihn, die Bürde zu schwer für seine Schultern.
»Du kannst dich ihr nicht entziehen«, beharrte Alannah, den Zauberstab drohend auf Granock gerichtet. »Du glaubst, du könntest Shakara einfach verlassen? Da irrst du dich, denn es geht längst nicht mehr nur um dich allein.«
»Aber ich will diese Verantwortung nicht, ich habe sie nie gewollt«, beschwerte sich Granock. »Vielleicht liegen Farawyns Gegner ja richtig und mein Volk besteht tatsächlich nur aus grunzenden Totschlägern und Barbaren! Vielleicht bin auch ich nur ein halbes Tier! Wer kann das sagen? Jedenfalls war ich immer ein Dieb und Herumstreuner, also haben sie vielleicht recht!« »Du willst, dass sie triumphieren?«, fragte Alannah erbost. »Dass die Aldurs dieser Welt recht behalten? Dass sie es sind, die am Ende lachen? Dass sie mit dem Finger auf dich zeigen und sagen: Seht her, da ist Granock, der Mensch, der Zauberer werden wollte und damit nur bewiesen hat, dass kein Mensch zu etwas taugt?«
»Sei vorsichtig!«, stieß Granock wütend hervor. »Du wählst gefährliche Worte!«
»Diese Worte sind nichts im Vergleich zu dem, was man über dich erzählen wird, wenn du einfach aufgibst. In Schimpf und Schande werden sie dich aus der Ordensburg jagen und in die Einsamkeit des Nurwinters verstoßen. Und während du dort langsam erfrierst, werden sie über dich lachen und sich über die schwachen Menschen auslassen, und
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