Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
eigene Siedlung gewartet. Nun, da es ernst wurde, wollten sie keinen Tag verlieren. Sie mieteten umgehend Boote für den Transport von Menschen und Baumaterial. Vorerst machten sich nur wenige vollständige Familien auf den Weg. Die meisten Männer ließen ihre Frauen und Kinder in Nelson und begaben sich allein ins Moutere Valley, um dort für provisorische Unterkünfte zu sorgen.
Jakob Lange dachte allerdings gar nicht daran, seine Töchter und seine Söhne auch nur einen Tag länger den »verderblichen Einflüssen« der Stadt auszusetzen, und Frau Brandmann wollte auf keinen Fall ohne die Männer in Nelson bleiben. Was sie dort befürchtete, war Ida ein völliges Rätsel, ihre Gastfamilie war völlig harmlos und genauso freundlich und entgegenkommend wie die Partridges. Also teilten sich die Langes und die Brandmanns ein großes Boot mit drei weiteren Familien und froren schon auf der Reise durch bis ins Mark. Ida hatte keine ausreichende Winterkleidung aus Mecklenburg mitgebracht – sie hatte nur einen wollenen Umhang, keinen dicken Mantel besessen. Hier hatte ihr nun Mrs. Partridge mit einem Umschlagtuch ausgeholfen, außerdem reiste ein Ballen Wollstoff mit den Frauen in die neue Heimat. Fertige Kleidung zu kaufen hielt Lange für überflüssig. In Sankt Paulidorf würde man wieder selbst schneidern und bald auch weben und stricken.
»Wir werden ein paar Schafe auf dem Hof haben«, verkündete auch Peter Brandmann.
Ida fragte sich, wo er die hernehmen wollte. Ihres Wissens gab es auf der ganzen Südinsel kein einziges Schaf und auch nur wenige Rinder. Fürsorglich zog sie ihren Schal nun auch noch um Elsbeth, die ebenso erbärmlich fror. Das Mädchen war allerdings in Plauderlaune, und so aneinandergeschmiegt und geschützt durch die Wollschichten hörte die Schwestern niemand.
»Ich finde, Karl sieht besser aus als Ottfried«, flüsterte Elsbeth Ida zu, die daraufhin errötete. Was redete ihre Schwester da? »Willst du nicht lieber den heiraten? So stattlich, wie er sich jetzt kleidet … der teure Mantel …«
Elsbeth war Karls hochwertige wetterfeste Kleidung also auch nicht entgangen. Natürlich, das Mädchen war nicht dumm und hatte obendrein in jeder freien Minute im Laden der Partridges ausgeholfen. Elsbeth wusste, was so ein Mantel kostete.
»Bestimmt würde er dir auch einen kaufen«, spann Elsbeth weiter. Ida musste lächeln. Der Gedanke an wärmende Kleidung stimmte sie im Moment tatsächlich romantischer als der Traum von Karls Umarmung – zumal dieser Wunsch nicht verboten war. Im Boot sehnte sich zurzeit wohl jeder nach einem regendichten Mantel oder noch besser einem Platz am Kamin. Im Moment regnete oder schneite es zwar nicht, über dem Fluss stiegen jedoch Nebel auf. Es war feuchtkalt, Ida konnte ihre Hände und Füße kaum noch spüren.
»Also, wenn ich heirate, dann nur einen reichen Mann. Und es muss einer sein, den ich wirklich mag«, plapperte Elsbeth weiter.
Ida rieb sich die Stirn. »Elsbeth, hör auf mit dem Unsinn«, sagte sie dann. Sie versuchte, streng zu sein, war sich aber darüber bewusst, dass sie nur müde klang. »Du bist so gut wie verlobt mit Friedrich Hauser, ich habe gehört, wie Vater mit Tobias Hauser gesprochen hat.«
Friedrich Hauser war der Sohn des Dachdeckers und lernte sein Handwerk. Er mochte um die sechzehn Jahre alt sein, und bevor da an Heirat zu denken war, würden natürlich noch Jahre vergehen. Vorgespräche fanden jedoch schon statt. Und die Verbindung mit Friedrich versprach eine sichere Zukunft. Bis jedes Haus, das in Sankt Paulidorf geplant war, sein Dach hatte, würden Friedrich und seine Brüder wahrscheinlich selbst schon Kinder haben.
»Aber nicht mit mir!«, trotzte Elsbeth. »Fritz ist dumm und fett. Weißt du, wer mir gefällt, Ida?«
Ihr Tonfall wurde verschwörerisch, und Ida fühlte die Liebe zu ihrer Schwester wie einen Stich in ihrem Herzen. So wichtig hatte Elsbeth immer getan, wenn sie ihr als kleines Kind Geheimnisse anvertraut hatte. Damals war das harmlos gewesen, jetzt empfand sie es als schmerzhaft, von diesen Träumen zu hören, die doch nie in Erfüllung gehen konnten.
»Tommy McDuff in Nelson!«
Der Sohn des Bäckers. Ida lächelte erneut. Deshalb hatte sich Elsbeth also stets darum gerissen, Brot kaufen zu gehen. Und wie begierig sie immer gewesen war, ihren Vater zu den bei den McDuffs einquartierten Brandmanns zu begleiten! Dabei hatte sie mit der langweiligen Gudrun Brandmann, die sie angeblich besuchen wollte,
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