Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
achteten. Im Nachhinein verwünschte sie sich dafür, nicht eine der Hauben mitgenommen zu haben, die zu ihrer Dienstbotenuniform gehörten. Viele der Frauen und Mädchen in Nelson trugen auf der Straße ganz ähnliche, und sie wäre damit weniger aufgefallen als jetzt, da sie ihr blondes Haar zu einem fast hüftlangen Zopf geflochten hatte. Nelson nannte sich eine Stadt, aber im Grunde war es nicht mehr als ein größeres Dorf, in dem jeder jeden kannte. Und ein neues oder vermeintlich neues Gesicht erregte Aufsehen – erst recht, wenn es zu einer jungen Frau gehörte, die allein durch die Straßen strebte. Überall in Neuseeland gab es noch sehr viel mehr Männer als Frauen. Cat stellte schnell fest, dass ihr Blicke folgten. Nun mochten die Männer, die sie anstarrten, Seeleute, Walfänger oder Seehundjäger auf der Durchreise sein. Leute, die nichts von ihrer Geschichte wussten, sondern sie für eine ganz normale Bürgertochter hielten. Übergriffe waren von denen nicht zu erwarten. Aber die Frauen, die ihr nachschauten, würden ganz sicher ihre Schlüsse ziehen und gleich anfangen zu tratschen. Sie konnten sich auch zusammenrotten … sie konnten gefährlich werden … Nach Cats Erfahrungen im Maori-Dorf und nach der Warnung der Köchin rechnete sie mit dem Schlimmsten.
Zum Glück gab es in der Gegend um den Magistrat, in der Mrs. Robins ihre Pension unterhielt, nur wenige Ladengeschäfte und keinen Markt. Jetzt, gegen Mittag, war in dem ruhigen Viertel kaum etwas los. Cat hoffte schon, unbehelligt ins Haus der Witwe gehen und ihre Frage anbringen zu können, aber dann kamen ihr doch drei Männer entgegen. Eigentlich waren es fast noch Jungen – sie wirkten ein wenig rabaukenhaft, vielleicht sogar angetrunken. Natürlich konnten sie die Augen nicht von der jungen Frau lassen, und plötzlich erkannte Cat einen von ihnen: Jamie, den Hausdiener der Beits. Er schwankte ein wenig, zweifellos war er betrunken. Den Grund dafür konnte Cat sich gut vorstellen: Auch Jamie war an diesem Morgen entlassen worden. Wahrscheinlich hatte er seinen Kummer im Bier ertränkt. Er schien sie jetzt ebenfalls erkannt zu haben, und sein Blick besagte nichts Gutes. Cat schaute sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, aber die drei stellten sich ihr schon in den Weg.
»Wen haben wir denn da?« Jamie grinste sie an. »Guckt mal, Jungs, darf ich vorstellen? Die Menschenfresserin. Hab … hab ich euch doch von erzählt, dass wir das Ding im Haus haben, das mit den Wilden rumgezogen ist.«
Der größere der beiden anderen, deutlich weniger angetrunken, musterte Cat lüstern. »Die würd ich wohl auch anbeißen!« Er lachte. »Was ist, Kleine, willste mal spüren, wie das ist, wenn einer die Zähne in dein Fleisch schlägt? Grrrr!«
Er zog eine Fratze, die wohl dem Gesichterschneiden der Maori nachempfunden sein sollte, und bleckte dabei die Zähne.
»Viel zu schade zum Fressen!« Der andere, kleiner und drahtig, grinste. Sein Gesicht wirkte verschlagen. »Aber ich hab gehört, sie seien nicht prüde, die kleinen Maori-Katzen …«
»Ja, ja, so nennt sie sich!«, rief Jamie so aufgeregt, als hätte sein Freund da eben ein Geheimnis aufgedeckt. »Cat … mal … mal sehn, ob sie rollig is.«
Die Männer kamen näher. Cat überlegte kurz, ob sie Zeit haben würde, das Messer zu ziehen, aber solange sie den Kerlen unmittelbar gegenüberstand, war das hoffnungslos. Ihre einzige Chance lag in der Flucht – vielleicht fand sie ja irgendwo eine Art Deckung.
Cat griff nach ihrem Rock, schürzte ihn, um besser rennen zu können, und jagte davon. Todesmutig schoss sie durch die Lücke zwischen dem schwankenden Jamie und seinem standfesteren, aber völlig überraschten großen Freund. Bevor die Männer sich noch umdrehen konnten, hatte sie schon einen gewissen Vorsprung – vielleicht gaben sie ja sogar auf und machten nicht den Versuch, ihr nachzusetzen? Diese Hoffnung erwies sich jedoch als falsch, gleich darauf hörte sie Schritte hinter sich. Immerhin schienen die Männer schwere Stiefel zu tragen, die ein rasches Vorankommen nicht unbedingt erleichterten. Cat trug bequeme, leichte Schuhe. Nach der langen Zeit bei den Maori hatte sie sich an die modischen Schnürstiefeletten, wie Mrs. Hansen und Mary sie trugen, nie gewöhnen können.
Hier war eine Hausecke – vielleicht, wenn sie in engere Gassen floh? Oder sollte sie gerade eine belebtere Gegend ansteuern? Cat rannte um ein weiteres Haus herum, bog in eine neue Straße. Und sah ein
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