Die Zeit der Feuerblüten: Roman (German Edition)
ersten Auftrags lief Karl zum Pier und konnte Tuckett bald berichten, dass dort tatsächlich ein Walfangschiff abfahrtbereit vor Anker lag.
»Sie uns nehmen mit zu Gouverneur«, meldete er zufrieden.
Tuckett nickte. »Gut. Dann werde ich nur noch mal kurz mit dem jungen Wakefield sprechen – ich muss ihn davon abhalten, gleich die nächsten bewaffneten Dummköpfe nach Wairau zu schicken. Sie stützen mich wieder, Jensch, und besorgen Sie mir einen Stock. Nein, besser ein paar Krücken, dann brauche ich Ihre Hilfe nicht. Lassen Sie sich was einfallen, wo Sie die herbekommen!«
Karl versuchte es, nicht ohne Hintergedanken, zunächst im Laden der Partridges, aber von der Familie Lange bekam er niemanden zu Gesicht. Dabei hätte er Ida zu gern von seiner neuen Arbeitsstelle berichtet. Auch wenn sie keine geheimen Treffen mehr wollte – wenn er ihr zufällig über den Weg gelaufen wäre, hätte sie ihn sicher angehört. Dann hätte er sich auch verabschieden können …
Die Partridges führten bedauerlicherweise keine Gehhilfen.
»Vielleicht die Apotheke?«, überlegte Mr. Partridge, aber Karl winkte schon ab – und erstand anstelle der Krücken ein Schnitzmesser.
Eine Stunde später überraschte er Tuckett mit Stöcken, die er in dem an die Siedlung grenzenden Dickicht aus gegabelten Ästen geschnitzt hatte. Der Landvermesser konnte sie sich unter die Achseln klemmen und sich so darauf stützen, dass sein Bein beim Gehen völlig entlastet war.
»Halten?«, fragte Karl besorgt. »War Baum, das bisschen ausgesehen wie Baum in Deutschland. Wie …«
»Wie eine Buche wahrscheinlich«, half Tuckett, der von Karls Improvisationstalent sichtlich angetan war. »Wir nennen sie auch Südbuchen, und hier hat man sie häufig. Auf der Nordinsel weniger …«
Während die beiden an Bord des Walfängers gingen, erzählte der Landvermesser von der Vegetation in Karls neuer Heimat, und er nutzte die Reise, um die Bäume und Sträucher, die er beschrieb, für Karl zu skizzieren. Der gelernte Bauingenieur war ein guter Zeichner – und offenbar ein geborener Lehrer. Er fand Vergnügen daran, dem jungen Einwanderer sein Wissen über die Nord- und Südinsel Neuseelands zu vermitteln. Er sprach langsam, nahm sich die Zeit, neue Worte zu umschreiben, oder schlug sie sogar in Karls Wörterbuch nach, das schon völlig zerfleddert war.
Karl hoffte, in Wellington oder Auckland ein neues und vielleicht umfangreicheres Lexikon erwerben zu können. Vorerst freute er sich daran, dass sich seine Sprachkenntnisse ständig verbesserten. Trotz der überaus stürmischen Überfahrt – die meisten Reisenden verbrachten sie mit grünen Gesichtern über die Reling gebeugt – und der Sorge um seinen neuen Freund Fenroy und die anderen Männer in der Gewalt der Maori genoss er die Reise.
Christopher und Cat genossen ihre Flucht keinesfalls. Zwar kannten sich beide in den Wäldern der Südinsel aus, kamen recht gut voran und litten weder Hunger noch Durst, aber sie waren nicht eingerichtet auf eine mehrtägige Wanderung. So waren sie schnell völlig durchnässt, als es ein paar Stunden nach ihrem Aufbruch zu regnen begann, und vor allem Cat fror in den Nächten, in denen sie im Dickicht Unterschlupf fanden und rasteten, jedoch nicht wagten, ein Feuer zu entzünden. Das beeinträchtigte natürlich auch den Speisezettel. Selbst wenn sie ohne Reusen hätten fischen und mit Cats kleinem Messer einen Vogel hätten töten können – roh mochten sie weder Fisch noch Fleisch essen. Also beschränkten sie sich auf ein paar Wurzeln, die Cat ausgrub, und Beeren, die sie zwischendurch sammelten. Immerhin waren beide geübte Wanderer und verstanden sich auf die Kunst der Orientierung mithilfe des Sonnenstands am Tag und der Sterne bei Nacht. Nur selten legten sie eine Rast ein, meist schweigend strebten sie mit langen Schritten ihrem Ziel entgegen. Auch Te Ronga hatte stundenlang ihren Gedanken nachgehangen, während sie wanderten, und Cat hatte gelernt, sich auf sich selbst und die Natur zu konzentrieren, in der sie sich bewegten. Sie hatte danach gestrebt, eins mit dem Land zu werden.
Chris wunderte sich, wie selbstverständlich, anmutig und fast lautlos die junge Frau vor ihm durch die Wälder glitt. Er selbst hätte sich gern unterhalten, aber er mochte Cat nicht drängen – zumal es sicher besser war, kein Risiko einzugehen. Nach wie vor konnten sie hier auf Späher der Ngati Toa treffen. Es wäre unklug gewesen, durch Reden auf sich aufmerksam zu
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