Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
verfolgen!«
Er ging schneller durch die engen Straßen, immer weiter, bis er ihre Stimme nicht mehr hörte.
Als er zum Fluss kam, wühlte er in seinem Gepäck, um nach seinem Geld zu sehen.
Und er fand al-Hafredis tätowierte Haut und abgerissene Fetzen des vom Feuer beschädigten Kodex. Diese Fragmente waren zurückgeblieben, als er die Schriftrolle herausgezogen hatte. Er nahm das größte Stück des Kodex, hielt es in die helle spanische Sonne und betrachtete es neugierig. Die Worte Incendium Dei waren durchgerissen, sodass nur unvollständige Buchstaben übrig waren, D, I, V, M. Und da war eine Abfolge durcheinandergewürfelter Buchstaben:
BMQVK XESEF EBZKM BMHSM …
Vielleicht sollte er diesen grässlichen, rätselhaften Plunder wegwerfen. Aber das kam ihm falsch vor. Schließlich waren Menschen dafür gestorben – zum Beispiel sein eigener Vater.
Er steckte den Fetzen wieder in sein Gepäck, zusammen mit dem Stück Menschenhaut. Er konnte später noch entscheiden, was er damit machen sollte. Dann ging er am Flussufer entlang und hielt Ausschau nach einem Schiff, das nach England fuhr.
ZWEITER TEIL
CRUCESIGNATI
1242–1248 N. CHR.
I
1242 n. Chr.
»Am Tag seiner Abreise aus Sevilla war Robert erst vierzehn Jahre alt«, sagte Joan. »Ein Jahr jünger, als du jetzt bist, Saladin. Er wuchs zu einem starken und frommen Mann heran – aber auch zu einem wilden Krieger, einem Getriebenen, wie es immer hieß. Er hat das Kreuz genommen und Jerusalem erobert. Und er ist auf dem Tempelberg gestorben, weit weg von daheim. Dieses christliche Land war sein großes Werk und sein Vermächtnis. Seither haben sechs Generationen seiner Kinder, sechs Generationen von uns , hier ihr Leben verbracht, von der Wiege bis zum Grab. Aber Robert, dieser verwirrte Junge, ist in die Zeit verschwunden; sein Leben war so vergänglich wie ein Atemzug …«
Saladin saß mit seiner Mutter auf einer Decke, die auf dem staubigen Boden des Freudenberges ausgebreitet war. Auf dem Hügel blökte eine Ziege, und ihre angebundenen Pferde grasten friedlich. Die Sonne stand hoch am Himmel, die letzten Reste der morgendlichen Wolken waren zerfasert, und ein sharav , ein Wüstenwind – heiß und trocken, mit dem Duft von Gewürzen – spannte Saladins Gesichtshaut wie ein Trommelfell.
Ganz Jerusalem breitete sich vor ihm aus, die Kuppeln seiner Moscheen und Kirchen, das Gewimmel seiner vielen Basare und belebten Suks hinter den Trümmern der alten Mauern. Leise Stimmen riefen die muslimischen Gläubigen zum Gebet, und irgendwo läutete die Glocke einer christlichen Kirche. Im Osten sah er das Tote Meer und den Jordan. Im Westen glänzte das Mittelmeer. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass sich irgendetwas davon jemals ändern, dass er selbst jemals alt werden würde. Und das Gerede seiner Mutter von dem längst toten Jungen war ihm unangenehm.
»Ich mag es nicht, wenn du solche Sachen sagst«, erklärte er.
»Was denn?«
»›Vergänglich wie ein Atemzug.‹ Als ob du eine Dichterin wärst. Was soll das heißen ?«
Joan war in ein weites weißes Gewand gehüllt, und ein Kopftuch schützte sie vor der Sonne. Während Saladin dunkelhäutig war, hatte sie helle Haut und blaue Augen, und sie bekam schnell einen Sonnenbrand. Saladin hatte gehört, dass er so aussah, als gehöre er hierher, sie aber nicht, obwohl die Linie ihrer Vorfahren seit Robert dem Wolf anderthalb Jahrhunderte überspannte.
Sie war erst dreißig, rief er sich ins Gedächtnis. Ihr Gatte, sein Vater, war jung gestorben, und sie hatte sich aufgerieben, um Saladin großzuziehen und den Reichtum und die Stellung der Familie in Jerusalem zu verteidigen. Er wusste das alles. Aber ihre Ernsthaftigkeit
machte ihn unduldsam. Er fühlte sich wie ein kleines Muskelpaket, ruhelos und eingezwängt.
Sie seufzte. »Ich versuche, deine Seele zu erwecken, Saladin. Dir ein Gespür für die Geschichte zu vermitteln, in die wir alle eingebettet sind.«
»Wen kümmert die Geschichte? Man kann sie nicht ändern, man muss mit ihr leben. Das Einzige, was zählt, ist die Zukunft.«
»Lieber Saladin. Du bist genau wie dein Vater, weißt du. Auch sein Schädel war hart wie Eisen. Und er hat sich ebenfalls nicht im Geringsten für Geschichte interessiert. Aber die Geschichte prägt unser aller Leben. Die großen Zeitströmungen haben uns hierher getragen, dich und mich, zu diesem Hügel über Jerusalem, fern von den Geburtsorten unserer Vorfahren – fern von Roberts Geburtsort.
Außerdem
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