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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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angezogen hatten, setzten sich die Mädchen auf den Rücksitz des BMW, wo sie pflichtschuldig die Sicherheitsgurte anlegten, während ihre Eltern das Gepäck im Kofferraum verstauten.
    Als Marty die Klappe zuschlug und abschloß, wandte sich Paige so leise an ihn, daß Charlotte und Emily es nicht hören konnten. »Glaubst du wirklich, wir müssen so weit gehen, das alles tun, ist es wirklich so schlimm?«
    »Ich weiß nicht. Wie ich dir gesagt habe, ich denke seit dem Aufwachen darüber nach, seit drei Uhr morgens, und ich weiß immer noch nicht, ob ich übertrieben reagiere.«
    »Es liegen ernste Dinge vor uns, womöglich sogar gefährliche.«
    »Es ist nur … so seltsam alles schon ist, mit dem Anderen und was er alles zu mir gesagt hat, aber die Hintergründe scheinen mir noch seltsamer zu sein. Gefährlicher als ein bewaffneter Irrer. Tödlicher und viel größer. Etwas so Großes, daß es uns zerquetscht, wenn wir versuchen, uns ihm in den Weg zu stellen. So habe ich mich mitten in der Nacht gefühlt, und ich hatte mehr Angst als gestern, als er die Kinder bei sich im Auto hatte. Und nach allem, was ich heute morgen im Fern sehen gesehen habe, bin ich mehr – nicht weniger – geneigt, mich auf meine Gefühle zu verlassen.«
    Ihm war bewußt, daß seine Angst extrem und mit dem unmißverständlichen Geschmack der Paranoia gewürzt war. Aber er war kein Angsthase und ging davon aus, daß er sich auf seine Instinkte verlassen konnte. Die Ereignisse hatten sämtliche Zweifel an seiner geistigen Gesundheit ausgeräumt.
    Er wünschte sich, er könnte einen anderen Gegner als den unwahrscheinlichen Doppelgänger entlarven, denn er war überzeugt, daß es einen anderen Gegner gab, und es wäre beruhigend gewesen, ihn identifizieren zu können. Die Mafia, der Ku-Klux-Klan, Neonazis, ein Konsortium gewissenloser Bankiers, der Aufsichtsrat eines unvorstellbar habgierigen multinationalen Firmenkonglomerats, rechtsextreme Generäle, die eine Militärdiktatur errichten wollten, eine Schar wahnsinniger Fanatiker aus dem Mittelwesten, verrückte Wissenschaftler, die die Welt aus reinem Jux und Dollerei in die Luft jagen wollten, oder auch Satan selbst in all seiner gehörnten Pracht – jeder Standardbösewicht aus Fernsehserien und zahllosen Romanen, wie unwahrscheinlich und klischeebefrachtet auch immer, wäre einem Widersacher ohne Gesicht oder Gestalt oder Namen vorzuziehen.
    Paige biß sich nachdenklich auf die Unterlippe und ließ den Blick über die rauschenden Bäume, die anderen parkenden Autos und die Fassade des Motels schweifen, bevor sie den Kopf in den Nacken legte und zu den kreischenden Möwen aufsah, die am überwiegend blauen und gleichgültigen Himmel ihre Bahnen zogen.
    »Du spürst es auch«, sagte er.
    »Ja.«
    »Erdrückend. Wir werden nicht beobachtet, aber das Gefühl ist fast dasselbe.«
    »Schlimmer«, sagte sie. »Anders. Die Welt hat sich verändert – oder wie ich sie betrachte.«
    »Ich auch.«
    »Wir haben etwas … verloren.«
    Und das werden wir nie mehr wiederfinden, dachte er.

40

    Das Ritz-Carlton war ein bemerkenswertes Hotel, außerordentlich geschmackvoll, mit großzügigen Verzierungen aus Marmor, Sandstein, Granit, mit erstklassiger Kunst und Antiquitäten in sämtlichen öffentlichen Räumen. Die gewaltigen Blumenarrangements, die man vor sich sah, wohin man sich auch drehte und wendete, gehörten zu den besten, die Oslett je gesehen hatte. Das Personal, in dezente Uniformen gekleidet, höflich, allgegenwärtig, schien die Gäste an Zahl zu übertreffen. Alles in allem fühlte sich Oslett an sein Zuhause erinnert, an das Gut in Connecticut, wo er aufgewachsen war, obwohl die Villa der Familie größer als das Ritz war, mit Antiquitäten höchster Museumsansprüche möbliert, das Verhältnis von Personal zu Familie sechs zu eins betrug und ein Landeplatz zu dem Grundstück gehörte, der Platz für die militärischen Helikopter bot, in denen der Präsident der Vereinigten Staaten und sein Gefolge manchmal reisten.
    Die Suite mit zwei Schlafzimmern und einem geräumigen Wohnzimmer, in der Drew Oslett und Clocker untergebracht waren, bot jede Annehmlichkeit von einer voll bestückten Bar bis hin zu so geräumigen Duschkabinen aus Marmor, daß jeder gastierende Ballettänzer während des morgendlichen Duschens darin Entrechats hätte üben können. Die Handtücher stammten nicht von Pratesi, wie er sie sein ganzes Leben lang benutzt hatte, aber sie waren aus guter ägyptischer

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