Die zweite Haut
Streifen.
Er hat zwar zwei Revolver und zwanzig Schuß Munition, will aber sein Waffenarsenal noch durch Molotowcocktails bereichern. Die Erfahrungen der letzten vierundzwanzig Stunden, seit er dem falschen Vater zum ersten Mal gegenüber getreten ist, haben ihn gelehrt, den Gegner nicht zu unterschätzen.
Er hofft immer noch, daß er Paige, Charlotte und die kleine Emily retten kann. Er sehnt sich nach wie vor nach einer Wiedervereinigung und der Fortsetzung ihrer Lebensgemeinschaft.
Aber er muß der Wirklichkeit ins Auge sehen und sich auf die Möglichkeit vorbereiten, daß seine Frau und die Kinder nicht mehr die sind, die sie einmal waren. Vielleicht sind sie schon geistig versklavt worden. Andererseits könnten sie auch von Parasiten aus einer anderen Welt befallen sein, ihre Gehirne ausgehöhlt und mit zuckenden Ungeheuern gefüllt. Oder vielleicht sind sie gar nicht mehr sie selbst, lediglich Duplikate der wahren Paige, Charlotte und Emily, so wie der falsche Vater ein Duplikat von ihm ist, aus einer Samenkapsel von einem fernen Stern gewachsen.
Die Vielfalt außerirdischer Bedrohungen ist grenzenlos und unvorstellbar, aber eine Waffe hat die Welt am häufigsten gerettet: Feuer. Kurt Russell wurde als Mitglied eines Forschungsteams in der Antarktis mit einem außerirdischen Wesen von unendlicher Wandlungsfähigkeit und großer List konfrontiert, möglicherweise das furchteinflößendste außerirdische Ding, das jemals die Erde kolonisieren wollte, und Feuer war bei weitem die wirksamste Waffe gegen diesen überlegenen Gegner gewesen.
Er fragt sich, ob vier Brandsätze ausreichen werden. Wahrscheinlich wird er sowieso keine Zeit haben, mehr anzuzünden. Wenn etwas aus dem falschen Vater, Paige oder den Mädchen herausplatzt, und wenn es so angriffslustig ist wie die Ungeheuer, die in Kurt Russells Forschungsstation aus den Leuten herausgeplatzt sind, würde er zweifellos überwältigt werden, bevor er mehr als vier Brandbomben werfen kann, zumal er sich die Zeit nehmen muß, jede einzeln anzuzünden. Er wünscht sich, er hätte einen Flammenwerfer.
52
Marty stand an einem der vorderen Fenster, betrachtete den Schnee, der dicht zwischen den Bäumen hindurch auf den Weg fiel, der zur Landstraße führte, und holte mehrere Handvoll Munition aus den Schachteln, die sie von Mission Viejo mitgebracht hatten. Er verteilte die Patronen in den verschiedenen Reißverschlußtaschen seiner rot-schwarzen Skijacke und in den Taschen seiner Jeans.
Paige lud das Magazin der Mossberg. Sie hatte nicht soviel Zeit wie Marty damit verbracht, auf dem Schießstand zu üben, daher fühlte sie sich mit der großkalibrigen Waffe wohler.
Sie besaßen achtzig Patronen für die Schrotflinte und etwa zweihundert 9-mm-Geschosse für die Beretta.
Marty kam sich schutzlos vor.
Er hätte sich auch mit noch so vielen Waffen nicht sicherer gefühlt.
Nachdem er das Gespräch mit dem Anderen beendet hatte, hatte er sich überlegt, ob sie die Blockhütte verlassen und wieder flüchten sollten. Aber wenn er ihnen so leicht bis hierher gefolgt war, würde er ihnen überallhin folgen, wohin sie auch gingen. Es war besser, sich in einem Gebäude zu verbarrikadieren, das verteidigt werden konnte, als auf einem einsamen Highway angegriffen oder an einem Ort überrascht zu werden, der nicht so geschützt wie die Blockhütte war.
Fast hätte er die hiesige Polizei angerufen und zum Haus seiner Eltern geschickt. Aber der Andere wäre mit Sicherheit verschwunden gewesen, bis sie dort eingetroffen wären, und die Spuren, die sie dort fanden – Fingerabdrücke und weiß Gott was sonst noch –, hätten nur den Eindruck erweckt, als hätte er selbst seine Mutter und seinen Vater ermordet. Die Medien hatten ihn schon als labilen Charakter hingestellt. Der Tatort in dem Haus in Mammoth Lakes würde genau zu dem Hirngespinst passen, das sie den Leuten verkaufen wollten. Wenn er heute oder morgen oder nächste Woche festgenommen – oder auch nur ein paar Stunden ohne Verhaftung festgehalten würde, wären Paige und die Mädchen auf sich allein gestellt, eine Vorstellung, die er unerträglich fand.
Sie hatten keine andere Wahl als sich einzugraben und zu kämpfen. Was eigentlich keine Wahl, sondern ein Todesurteil war.
Charlotte und Emily, die nebeneinander auf dem Sofa saßen, trugen immer noch Jacken und Handschuhe. Sie hielten einander an den Händen und machten sich Mut. Obwohl sie Angst hatten, weinten sie nicht oder wollten getröstet werden,
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