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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Kriminalschriftsteller für angemessen hielt, daher war er mit Requisiten angekommen, die Marty mit dem entsprechenden finsteren Gesichtsausdruck schwingen sollte: eine Axt, ein riesiges Messer, ein Eispickel, ein Gewehr. Als Marty sich höflich weigerte, von diesen Requisiten Gebrauch zu machen oder einen Trenchcoat mit hochgestelltem Kragen und tief in die Stirn gezogenem Fedora zu tragen, hatte der Fotograf zugestimmt, daß es albern für einen erwachsenen Mann wäre, sich zu verkleiden, und vorgeschlagen, sie sollten auf alle gängigen Klischees verzichten und ihn einfach als Schriftsteller und ganz normalen Menschen abbilden.
    Jetzt wurde deutlich, daß Walenko schlau genug gewesen war, auch ohne die Requisiten zu bekommen, was er wollte, nachdem er sein Opfer in Sicherheit gewiegt hatte. Der Garten schien ein harmloser Hintergrund zu sein. Aber durch das Zusammenwirken der langen Schatten der Dämmerung, der hohen Bäume, der vom letzten, düsteren Tageslicht erhellten Wolken, der strategischen Anordnung von Scheinwerfern und eines extremen Kamerawinkels war es dem Fotografen gelungen, Marty unheimlich aussehen zu lassen. Darüber hinaus hatte sich die Redaktion von den zwanzig Aufnahmen, die im Garten gemacht worden waren, die schlimmste ausgesucht: Marty blickte schief, seine Gesichtszüge waren verzerrt; die Scheinwerfer des Fotografen spiegelten sich in seinen zusammengekniffenen Augen, die zu glühen schienen wie die Augen eines Zombies.
    Das zweite Foto war in seinem Arbeitszimmer aufgenommen worden. Er saß am Schreibtisch und sah in die Kamera. Auf diesem Foto war er zu erkennen, aber inzwischen hätte er es vorgezogen, wenn er nicht zu erkennen gewesen wäre, denn die einzige Möglichkeit, ein letztes bißchen Würde zu bewahren, schien darin zu bestehen, aus seinem wahren Erscheinungsbild ein Geheimnis zu machen; durch eine Kombination von Schatten und das seltsame Licht der Tiffanylampe sah er selbst auf dem Schwarzweißfoto wie eine Zigeunerin aus, die in ihrer Kristallkugel ein Vorzeichen künftiger Katastrophen gesehen hatte.
    Er war überzeugt, daß viele Probleme der Welt auf die Übersättigung der modernen Gesellschaft durch die Medien zurückgeführt werden konnten sowie deren Neigung, nicht nur sämtliche Themen bis zum Punkt der Absurdität zu vereinfachen, sondern Dichtung und Wahrheit durcheinanderzubringen. Die Fernsehnachrichten gaben dramatischen Filmberichten den Vorzug vor sachlicher Berichterstattung und Sensationsgier vor Substanz, sie buhlten mit denselben Mitteln wie die Produzenten von Polizeifilmen und Gerichtssaaldramen um Einschaltquoten. Dokumentarfilme über tatsächliche historische Gestalten waren zu »Dokudramen« geworden, in denen wahrheitsgemäße Berichte über Lebensläufe unbarmherzig dem Unterhaltungswert oder sogar den persönlichen Hirngespinsten der Produzenten geopfert wurden, die die Vergangenheit drastisch verzerrt darstellten. Rezeptpflichtige Medikamente wurden in Werbespots von Schauspielern angepriesen, die Ärzte in Sendungen mit hohen Einschaltquoten spielten, als hätten sie tatsächlich ein Medizinstudium in Harvard absolviert und nicht nur einen oder zwei Schauspielkurse besucht. Politiker traten als Gäste in Folgen verschiedener Serienkomödien auf. Schauspieler derselben Serien ließen sich bei politischen Veranstaltungen sehen. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte der Vizepräsident der Vereinigten Staaten lang und breit mit dem fiktiven Reporter einer Fernsehkomödie diskutiert. Die Öffentlichkeit verwechselte Schauspieler und Politiker mit den Rollen, die sie spielten. Ein Verfasser von Kriminalromanen sollte demzufolge nicht nur wie eine Figur aus seinen Büchern sein, sondern wie die Karikatur des Archetyps der typischsten Gestalt des ganzen Genres. Und Jahr für Jahr waren die Leute weniger imstande, sich eine klare Meinung zu wichtigen Fragen zu bilden oder Dichtung und Realität auseinanderzuhalten.
    Marty war fest entschlossen gewesen, nichts zu dieser Krankheit beizusteuern, aber er war übertölpelt worden. Jetzt war er im Denken der Öffentlichkeit fest als der unheimliche und geheimnisvolle Autor unheimlicher Kriminalromane verankert, der besessen von der dunklen Seite des Lebens war, so düster und seltsam wie die Figuren, über die er schrieb.
    Früher oder später würde ein verwirrter Mitbürger, der Martys Manipulation erfundener Figuren in Romanen für die Manipulation wirklicher Menschen im wirklichen Leben hielt, vor

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