Die zweite Haut
ihn zu braten; er schlingt, konzentriert sich ausschließlich aufs Essen, ohne auf Manieren zu achten, und spült alles hastig mit großen Schlucken kalten Biers hinunter, dessen Schaum ihm über das Kinn fließt. Er möchte so vieles tun, bevor seine Frau und die Kinder nach Hause kommen, und er hat keine Ahnung, wann er mit ihnen rechnen darf. Das fette Fleisch ekelt ihn, daher greift er ab und zu in ein großes Glas Mayonnaise, wobei er ganze Klumpen herausholt und von den Fingern leckt, um einen Mundvoll Essen geschmeidig zu machen, den er nur schwer schlucken kann, selbst mit Hilfe einer neuen Flasche Corona. Zwei dicke Stücke Schokoladenkuchen, die er ebenfalls mit Bier hinunterspült, beenden seine Mahlzeit, worauf er die Schweinerei hastig mit Papiertüchern aufwischt und sich die Hände an der Spüle wäscht.
Er fühlt seine Lebensgeister wiederkehren.
Mit der silbergerahmten Fotografie in der Hand geht er in den ersten Stock zurück, wobei er zwei Stufen auf einmal nimmt. Er geht ins Elternschlafzimmer, wo er beide Nachttischlampen einschaltet.
Eine Zeitlang betrachtet er das große Doppelbett und ist erregt beim Gedanken an Sex mit Paige. Mit ihr Liebe zu machen. Wenn man es mit jemandem macht, der einem wirklich am Herzen liegt, nennt man es »Liebe machen«.
Sie liegt ihm wirklich am Herzen.
Sie muß ihm am Herzen liegen.
Schließlich ist sie seine Frau.
Er weiß, ihr Gesicht ist hübsch, bildschön, mit einem sinnlichen Mund und feinem Knochenbau und fröhlichen Augen, aber anhand der Fotografie kann er kaum etwas über ihren Körper sagen. Er stellt sich vor, daß sie volle Brüste hat, einen flachen Bauch, lange, wohlgeformte Beine, und er brennt darauf, neben ihr zu liegen, tief in ihr zu sein.
An der Kommode zieht er Schubladen auf, bis er ihre Unterwäsche gefunden hat. Er liebkost einen knappen Slip, die Körbchen eines Büstenhalters, ein Spitzenjäckchen. Er nimmt ein Seidenhöschen aus der Schublade, reibt sich das Gesicht damit, atmet tief ein und flüstert mehrmals ihren Namen.
Liebe mit ihr zu machen wird vollkommen anders sein als der verschwitzte Sex mit den Schlampen, die er in Bars aufgerissen hat, denn nach diesen Erlebnissen fühlte er sich stets leer, entfremdet, frustriert, weil sein Bedürfnis nach Intimität unerfüllt blieb. Frustration wird zu Wut; Wut schlägt in Haß um; Haß erzeugt Gewalt – und Gewalt kann manchmal besänftigend wirken. Aber dieser Teufelskreis wird sich nicht wiederholen, wenn er mit Paige Liebe macht, denn er gehört in ihre Arme wie in keine anderen. Bei ihr wird sein Verlangen ebenso gestillt werden wie seine Begierde. Gemeinsam werden sie eine Vereinigung erleben, wie er sie sich nicht einmal vorstellen kann, perfektes Einssein, Wonne, seelische wie körperliche Erfüllung, wie er es in unzähligen Filmen gesehen hat; ihre Körper werden in goldenes Licht getaucht sein, Ekstase, eine tiefempfundene Intensität der Lust, wie sie nur im Angesicht wahrer Liebe möglich ist. Hinterher wird er sie nicht töten müssen, denn dann werden sie eins sein, zwei Herzen, die im Einklang schlagen, ohne Grund, jemanden zu töten, übersinnlich, alles Verlangen auf köstliche Weise gestillt.
Die Aussicht auf sie beide im Bett macht ihn fast atemlos.
»Ich werde dich so glücklich machen, Paige«, verspricht er ihrem Bild.
Ihm wird bewußt, daß er seit Samstag nicht mehr gebadet hat, er will aber bei ihrer Rückkehr sauber sein, daher legt er das Seidenhöschen wieder auf den Stapel, von dem er es geholt hat, macht die Schublade zu und geht ins Bad, um zu duschen.
Er zieht die Kleidungsstücke aus, die er am Sonntag, vor kaum vierundzwanzig Stunden, in Oklahoma aus dem Schrank im Wohnmobil des weißhaarigen Rentners Jack genommen hat. Nachdem er jedes Kleidungsstück zu einem festen Ball zusammengerollt hat, stopft er sie in einen Abfalleimer aus Messing.
Die Duschkabine ist geräumig, das Wasser herrlich heiß. Er schäumt sich kräftig mit dem Stück Seife ein, und kurz darauf sind die Dampfwolken von einem fast berauschenden Blumenduft erfüllt.
Nachdem er sich mit einem flauschigen gelben Handtuch abgetrocknet hat, sucht er in den Schubladen im Badezimmer, bis er seine Toilettenartikel gefunden hat. Er benutzt einen Deoroller und kämmt sich das nasse Haar aus der Stirn, um es ganz natürlich trocknen zu lassen. Er rasiert sich mit einem Elektrorasierer, spritzt sich etwas Kölnisch Wasser mit Limonenaroma ins Gesicht und putzt sich die Zähne.
Er
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