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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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wie seine Waffenausbildung und sein unheimliches Orientierungsvermögen in den Straßen verschiedener Städte. Offensichtlich waren seine Vorgesetzten der Meinung, daß er grundsätzliche Kenntnisse der Computerbedienung und des Umgangs mit verschiedener Software haben müßte, um seine Aufträge aus führen zu können.
    Der Bildschirm wird frei.
    Bereit.
    In der untersten Ecke des blauen Bildschirms verraten ihm weiße Zahlen und Buchstaben, daß er sich in Dokument eins auf Seite eins, in Zeile eins und Spalte zehn befindet.
    Bereit. Er ist bereit, einen Roman zu schreiben. Seine Arbeit.
    Er betrachtet den leeren Bildschirm und versucht anzufangen. Anfangen ist schwieriger, als er erwartet hat.
    Er hat eine Flasche Corona aus der Küche mitgebracht, da er sich schon gedacht hat, daß er seine Gedanken schmieren muß. Er trinkt einen großen Schluck. Das Bier ist kalt, erfrischend, und er weiß, genau das braucht er, um in die Gänge zu kommen.
    Nachdem er die Flasche zur Hälfte leer getrunken hat, ist sein Selbstvertrauen wiederhergestellt, und er fängt an zu tippen. Er hämmert zwei Worte, dann hält er inne:
    Der Mann
    Der Mann was?
    Er starrt den Bildschirm eine Minute an, dann tippt er: »betrat das Zimmer.« Aber welches Zimmer? In einem Haus? Einem Bürogebäude? Wie sieht das Zimmer aus? Wer hält sich sonst noch drin auf? Was macht der Mann in diesem Zimmer, weshalb ist er dort? Muß es ein Zimmer sein? Könnte er einen Zug betreten, ein Flugzeug, einen Friedhof?
    Er löscht »betritt das Zimmer« und ersetzt es durch »war groß.« Der Mann ist also groß. Spielt es eine Rolle, daß er groß ist? Ist seine Größe wichtig für die Geschichte? Wie alt ist er? Welche Farbe haben seine Augen, sein Haar? Ist er weiß, schwarz, Asiate? Was hat er an? Und was das betrifft, muß es überhaupt ein Mann sein? Könnte es nicht eine Frau sein? Oder ein Kind?
    Mit diesen Fragen vor Augen löscht er den ganzen Bildschirm und fängt noch einmal von vorne an:
    Der
    Er starrt auf den Bildschirm. Dieser ist schrecklich leer. Unendlich leerer als zuvor, nicht nur vier Buchstaben leerer, nachdem »Mann« gelöscht wurde. Die Möglichkeiten, die nach dem simplen Artikel »der« folgen, sind grenzenlos, wodurch die Auswahl des zweiten Wortes weitaus schwerer wird, als er vermutet hätte, bevor er auf dem schwarzen Sessel Platz genommen und die Maschine eingeschaltet hat.
    Er löscht »Der«.
    Der Bildschirm ist leer.
    Bereit.
    Er trinkt die Flasche Corona leer. Es ist kalt und erfrischend, aber es schmiert seine Gedanken nicht.
    Er geht zum Regal und zieht acht der Romane heraus, auf denen sein Name steht, Martin Stillwater. Er trägt sie zum Schreibtisch, dann sitzt er eine Weile nur da, liest erste Seiten, zweite Seiten, und versucht, sein Gehirn mit dem Kickstarter in Gang zu setzen.
    Sein Schicksal ist, Martin Stillwater zu sein. Soviel steht felsenfest.
    Er wird Charlotte und Emily ein guter Vater sein.
    Er wird der wunderschönen Paige ein guter Mann und Liebhaber sein.
    Und er wird Romane schreiben. Kriminalromane.
    Eindeutig hat er früher welche geschrieben, mindestens ein Dutzend, also kann er sie auch wieder schreiben. Er muß einfach ein Gefühl dafür bekommen, wie man es macht, die Gewohnheit wieder erlernen.
    Der Bildschirm ist leer.
    Er legt die Finger auf die Tastatur und ist bereit zu schreiben.
    Der Bildschirm ist so leer. Leer, leer, leer. Er verspottet ihn.
    Er vermutet, daß er lediglich durch das leise, beharrliche Summen der Monitorlüftung und das einschüchternde, elektrischblaue Feld von Dokument eins, Seite eins gehemmt wird, daher schaltet er den Computer aus. Die anschließende Stille ist ein Segen, aber die flache, graue Mattscheibe des Monitors wirkt noch spöttischer als der blaue Bildschirm; daß er die Maschine abgeschaltet hat, kommt ihm wie das Eingeständnis einer Niederlage vor.
    Er muß Martin Stillwater sein. Das bedeutet, er muß schreiben.
    Der Mann. Der Mann war. Der Mann war groß mit blauen Augen und blondem Haar, er trug einen blauen Anzug, ein weißes Hemd und eine rote Krawatte, war etwa dreißig Jahre alt, und er wußte nicht, was er in dem Zimmer machte, das er betreten hatte. Verdammt. Mist. Der Mann. Der Mann. Der Mann …
    Er muß schreiben, aber jeder Versuch zu schreiben führt rasch zu Frustration. Frustration wird zu Wut. Das vertraute Muster. Wut erzeugt einen ganz speziellen Haß auf den Computer, einen Abscheu davor, und außerdem einen nicht ganz so klar

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