Die zweite Haut
Muster auf den betonierten Gehweg. Blitze zuckten, als er zum Ford lief, Donnersalven hallten über den verhangenen Himmel, und gerade als er die Tür ins Schloß zog und wieder hinter dem Lenkrad Platz nahm, wurden die Tropfen zu einem gewaltigen Sturzbach.
Während der Heimfahrt erfreute sich Marty am Funkeln der vom Regen versilberten Straßen, am geräuschvollen Zischen der Reifen, wenn sie durch tiefe Pfützen fuhren, und dem Anblick schwankender Palmwedel, die die grauen Wolken des Gewitterhimmels zu kämmen schienen und ihn immer an bestimmte Geschichten von Somerset Maugham und alte Filme mit Bogart erinnerten. Da Regen ein so seltener Gast im von Dürre geplagten Kalifornien war, wog der Reiz des Neuen schwerer als die Unannehmlichkeiten.
Er parkte in der Garage, betrat das Haus durch die Verbindungstür zur Küche und genoß die feuchte Schwere der Luft und den Ozongeruch, der stets einem Gewitter vorausging.
In der halbdunklen Küche leuchteten die grünen Ziffern der elektronischen Uhr: 16:10. Paige und die Mädchen würden in zwanzig Minuten nach Hause kommen.
Er schaltete Lampen und Leuchter an, während er von Zimmer zu Zimmer ging. Das Haus machte stets den wohnlichsten Eindruck, wenn es warm und hell erleuchtet war, während Regen auf das Dach trommelte und der graue Schleier eines Sturms die Welt vor jedem Fenster verhüllte. Er beschloß, daß er im offenen Kamin des Wohnzimmers Feuer machen und alle Zutaten für heiße Schokolade zurechtlegen würde, damit er sie gleich machen konnte, wenn Paige und die Mädchen nach Hause kamen.
Aber zuerst ging er nach oben, um Faxgerät und Anrufbeantworter in seinem Büro zu überprüfen. Inzwischen müßte Paul Guthridges Sekretärin mit Terminen für die Untersuchungen morgen im Krankenhaus angerufen haben.
Außerdem hatte er den abwegigen Verdacht, sein literarischer Agent könnte eine Nachricht über den Verkauf der einen oder anderen Auslandslizenz hinterlassen haben, vielleicht sogar Neuigkeiten über ein Filmangebot, einen Grund zu feiern. Seltsamerweise hatte der Sturm seine Stimmung verbessert statt verschlechtert, wahrscheinlich weil schlechtes Wetter einen veranlaßte, sich auf die häuslichen Freuden zu konzentrieren, aber im Grunde genommen fand er immer einen Anlaß, fröhlich zu sein, selbst wenn der gesunde Menschenverstand Pessimismus als realistischere Reaktion vorschlug. Er schaffte es nie, lange niedergeschlagener Stimmung zu bleiben; und seit Samstagnachmittag hatte er so viele negative Gedanken gehabt, daß sie ein paar Jahre ausreichen würden.
Als er sein Arbeitszimmer betrat, streckte er die Hand nach dem Lichtschalter an der Wand aus, um die Deckenbeleuchtung einzuschalten, drückte aber nicht darauf, so überrascht war er, daß die Tiffanylampe und eine Arbeitsleuchte brannten. Er löschte stets alle Lichter, bevor er das Haus verließ. Allerdings hatte ihn, bevor er zum Arzt aufgebrochen war, unerklärlicherweise das seltsame Gefühl beschlichen, als läge er gefesselt auf den Schienen eines heranbrausenden Schnellzugs, und er hatte offenbar nicht mehr daran gedacht, die Lampen auszuschalten.
Als er sich an den Höhepunkt des Panikanfalls erinnerte, in der Garage, als das Entsetzen ihn fast gelähmt hatte, spürte Marty, wie ein Teil seines Optimismus wieder verflog.
Faxgerät und Anrufbeantworter standen an der hinteren Ecke des U-förmigen Arbeitsbereichs. An letzterem blinkte das rote Signallicht, daß eine Nachricht da war, und einige dünne Blätter Papier lagen in der Ablage des ersteren.
Bevor Marty eine der beiden Maschinen erreichte, sah er den zertrümmerten Monitor, aus dessen Rahmen Glaszacken standen. In der Mitte klaffte ein schwarzes Loch. Eine Glasscherbe knirschte unter seinem Schuh, als er den Bürosessel zurückschob und den Computer fassungslos betrachtete.
Unregelmäßige Scherben lagen auf der Tastatur.
Übelkeit zog ihm den Magen zusammen. Hatte er auch das in einer Fugue getan? Einen stumpfen Gegenstand aufgehoben und den Bildschirm in Stücke gehauen? Sein Leben zerfiel wie dieser zerschmetterte Monitor.
Dann fiel ihm neben dem Glas noch etwas auf der Tastatur auf. Im trüben Licht glaubte er Tropfen geschmolzener Schokolade zu sehen.
Stirnrunzelnd berührte Marty einen der Flecken mit der Spitze des Zeigefingers. Noch leicht klebrig. Etwas blieb an seiner Haut haften.
Er hielt die Hand unter die Arbeitsleuchte. Die klebrige Substanz auf seiner Fingerspitze war dunkelrot, fast kastanienfarben.
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