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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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konnte die Fiktion nicht leben , man konnte unter Druck nicht wie ein Cop handeln, wenn man nicht die Ausbildung eines Cops genossen hatte. Er hatte sich wie alle anderen auch des Vergehens schuldig gemacht, Fiktion und Realität zu verwechseln, hatte gedacht, er wäre so unverwundbar wie der Held auf einer gedruckten Seite, und er hatte verdammt großes Glück gehabt, daß der andere Marty nicht auf ihn gewartet hatte. Der Flur im ersten Stock war verlassen.
    Er hat genau wie ich ausgesehen.
    Darüber konnte er jetzt nicht nachdenken, keine Zeit. Mußte sich darauf konzentrieren, am Leben zu bleiben, den Dreckskerl zu erledigen, bevor er Paige oder den Mädchen etwas tun konnte. Wenn du überlebst, wirst du ausreichend Zeit haben, über diese erstaunliche Ähnlichkeit nachzudenken, das Rätsel zu lösen, aber jetzt nicht. Horch. Bewegung? Vielleicht. Nein. Nichts.
    Halt die Waffe hoch. Mündung nach vorne gerichtet. Unmittelbar neben der Tür des Arbeitszimmers hatte ein verschmierter Handabdruck in nassem Blut die Wand besudelt. Dort befand sich auch eine gräßliche Menge Blut als Pfütze auf dem beigen Teppichboden. Während Marty fassungslos und vorübergehend gelähmt hinter seinem Schreibtisch gestanden hatte, hatte der verwundete Mann zumindest kurzzeitig hier an der Wand des Flures gelehnt und möglicherweise vergeblich versucht, die Blutung seiner Wunden zu stillen.
    Marty schwitzte, ihm war übel, und er hatte Angst. Schweiß rann ihm in den linken Augenwinkel, brannte, seine Sicht verschwamm. Er strich sich mit dem Hemdsärmel über die nasse Stirn und blinzelte heftig, um das Salz aus dem Auge zu bekommen.
    Als sich der Eindringling von der Wand abgestoßen und wieder in Bewegung gesetzt hatte – möglicherweise während Marty noch reglos hinter dem Schreibtisch verharrte –, war er durch eine Pfütze seines eigenen Blutes gelaufen. Sein Weg wurde von fragmentarischen roten Abdrücken im Zickzackmuster der Sohlen von Turnschuhen und von einer Reihe scharlachroter Tropfen markiert.
    Stille im Haus. Mit etwas Glück handelte es sich vielleicht um die Stille des Todes.
    Zitternd folgte Marty vorsichtig der ekelhaften Spur am Bad vorbei, um die Ecke, an der Doppeltür des dunklen Elternschlafzimmers vorbei, an der Treppe vorbei. An der Stelle, wo der Flur im ersten Stock zu einer Galerie über dem Wohnzimmer wurde, blieb er stehen.
    Rechts befand sich ein ausgebleichtes Eichengeländer, jenseits davon hing der Messingleuchter, den er eingeschaltet hatte, als er vorhin durch die Diele gekommen war. Unter diesem Leuchter lagen die Treppe nach unten und die zweistöckige Diele mit ihrem Fliesenboden, die unmittelbar ans zweistöckige Wohnzimmer angrenzte.
    Links von ihm, einige Schritte weiter an der Galerie, lag das Zimmer, das Paige als ihr Arbeitszimmer nutzte. Eines Tages würde es ein Zimmer für Charlotte oder Emily werden, wenn sie beschlossen, daß sie alt genug wären, in getrennten Zimmern zu schlafen. Die Tür stand halb offen. Nachtschwarze Schatten lauerten dahinter, lediglich vom grauen Gewitterlicht des schwindenden Tages erhellt, das kaum zu den Fenstern her eindrang.
    Die Blutspur führte an diesem Arbeitszimmer vorbei zum Ende der Galerie, direkt zum Zimmer der Mädchen, dessen Tür geschlossen war. Der Eindringling hielt sich dort versteckt, und der Gedanke, daß er sich an den Habseligkeiten der Mädchen zu schaffen machte, ihre Sachen anfaßte, ihr Zimmer mit seinem Blut und seinem Wahnsinn besudelte, war grauenerregend.
    Er erinnerte sich an die wütende, vom Wahnsinn gezeichnete Stimme, die so große Ähnlichkeit mit seiner eigenen hatte: Meine Paige, sie gehört mir, meine Charlotte und meine Emily …
    »Von wegen, sie gehören dir«, sagte Marty und richtete die Smith & Wesson auf die geschlossene Tür.
    Er sah auf die Armbanduhr.
    16:28.
    Was jetzt?
    Er konnte hier auf der Galerie bleiben und darauf warten, daß er den Mistkerl in die Hölle schicken konnte, wenn die Tür aufging. Er konnte auf Paige und die Kinder warten, ihnen zurufen, wenn sie hereinkamen, Paige bitten, 911 zu wählen. Dann konnte sie die Kinder ins Haus von Vic und Kathy Delorio auf der anderen Straßenseite bringen, wo sie in Sicherheit wären, während er die Tür im Auge behalten konnte, bis die Polizei eintraf.
    Der Plan hörte sich gut, verantwortungsbewußt, ruhig und durchdacht an. Vorübergehend wurde sein Herzschlag in der Brust weniger beharrlich, weniger quälend.
    Dann überfiel ihn der Fluch der

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