Die zweite Haut
gegangen, aber nicht hinein. Er hatte kehrtgemacht und dabei den Blutverlust irgendwie so drastisch unterbunden, daß er seine Spur nicht mehr deutlich markierte – abgesehen von einem verräterischen Fußabdruck und möglicherweise einigen anderen, die Marty nicht aufgefallen waren.
Marty nahm die Waffe in beide Hände, wirbelte herum und schrie auf, als er den Anderen aus Paiges Arbeitszimmer kommen sah; für einen Mann, der zwei Schüsse in der Brust und schätzungsweise einen Liter Blut verloren hatte, bewegte er sich viel zu schnell. Er traf Marty fest, schlug unter der Pistole durch, schleuderte ihn gegen das Geländer der Galerie und zwang ihn, die Arme hochzureißen.
Marty drückte ab, als er zurückgeschleudert wurde – ein Reflex –, aber die Kugel durchbohrte die Decke des Flurs. Das stabile Geländer kollidierte mit dem unteren Teil seines Rückens, ein halb erstickter Schrei entrang sich ihm, als weißglühende Schmerzen horizontal durch seine Nieren schossen und mit Spikes einen Steptanz auf der Knöcheltreppe seiner Wirbelsäule trampelten.
Noch beim Schreien verlor er die Pistole. Sie glitt ihm aus den Händen und flog über seinen Kopf in die überdachte Leere hinter ihm.
Das Eichengeländer erbebte unter seiner Last, ein lautes, trockenes Knacken kündete den bevorstehenden Zusammenbruch an, und Marty war sicher, daß er ins Treppenhaus abstürzen würde. Aber die Balustrade gab nicht nach, und der Handlauf blieb fest mit dem Eckpfosten verbunden.
Der Andere drängte unerbittlich nach vorne, drückte Marty rückwärts über die Balustrade und versuchte ihn zu erwürgen. Hände aus Eisen, Finger wie Hydraulikgreifer, die von einem starken Motor angetrieben wurden, drückten die Halsschlagadern zu.
Marty rammte dem Angreifer das Knie zwischen die Beine, doch der Tritt wurde abgeblockt. Durch den Versuch verlor er das Gleichgewicht und hatte nur noch einen Fuß auf dem Boden, und er wurde weiter über die Balustrade geschoben, bis er ganz auf den Handlauf gedrückt wurde und nur noch darauf lag.
Marty, der würgte, keine Luft mehr bekam und wußte, die größte Gefahr bestand darin, daß die Blutzufuhr zum Gehirn unterbrochen wurde, bildete mit den Armen einen Keil und trieb diesen zwischen die Arme des Anderen nach oben, womit er versuchen wollte, sie auseinanderzudrücken und den Würgegriff zu lösen. Der Angreifer verdoppelte seine Anstrengungen, entschlossen, nicht lockerzulassen. Marty strengte sich ebenfalls noch mehr an, und sein überlastetes Herz klopfte schmerzhaft gegen sein Brustbein.
Sie hätten einander ebenbürtig sein müssen, verdammt noch mal, schließlich hatten sie dieselbe Größe, dasselbe Gewicht und denselben Körperbau, sie waren in derselben körperlichen Verfassung und allem äußeren Anschein nach ein und derselbe Mann .
Und doch war der Andere, der zwei potentiell tödliche Schüsse abbekommen hatte, der stärkere, und zwar nicht nur, weil er sich in der überlegenen Position befand und die bessere Hebelwirkung auf seiner Seite hatte. Er schien übermenschliche Kräfte zu besitzen.
Es war, als würde Marty, von Angesicht zu Angesicht mit seinem Doppelgänger und von heißen, keuchenden Atemzügen umspült, in einen Spiegel sehen, aber das wilde Spiegelbild vor ihm war zu einer Miene verzerrt, wie sie Marty bei sich selbst noch nie gesehen hatte. Bestialische Wut. Haß, so vergiftend wie Blausäure. Zuckungen manischer Freude huschten über das vertraute Antlitz, als würde die Aussicht, jemanden zu töten, den Fremden erregen.
Der Andere fletschte die Zähne und drückte, obwohl es unmöglich schien, noch fester zu, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, als er sagte, während ihm Speichel aus dem Mund tropfte: »Brauche mein Leben jetzt, mein Leben, meins, meins, jetzt . Brauche meine Familie, jetzt, meine, jetzt, jetzt, jetzt, brauche, sie , BRAUCHE SIE! «
Negative Glühwürmchen tanzten und sausten vor Martys Augen, negativ, weil sie wie Negativabzüge der leuchtenden Glühwürmchen an Sommerabenden aussahen, keine Lichtfünkchen in der Dunkelheit, sondern Dunkelheitsfünkchen im Licht. Fünf, zehn, zwanzig, hundert, ein wuselnder Schwarm. Das verzerrte Gesicht des Anderen verschwand stückweise unter diesem blinkenden schwarzen Schwarm.
Marty wollte den Griff mit aller Verzweiflung brechen und krallte nach dem haßerfüllten Gesicht. Aber er konnte es nicht erreichen. Seine Anstrengungen schienen allesamt kläglich, hoffnungslos zu sein.
So viele
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