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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Zeus gebilligt worden war.«
     
    Nichts Neues. Was aber anders war als sonst: ihre Empfindung beim Lesen, während sie immer wieder auf das Bild von Hades’ Hand auf der runden Brust schielte. Ein ziehendes Kribbeln zwischen den Beinen, wo das Laken zusammengeknüllt war. Dieses Kribbeln wurde immer stärker und stechender, bis sie sich bepinkelte. Erschrocken sprang sie auf und klappte das Buch zu. Sie inspizierte das Laken, erst beschämt, dann verwirrt. Da, wo sie hingepinkelt hatte, war kein nasser Fleck. Sie betastete ihre Oberschenkel – auch trocken. Sie hatte nicht gepinkelt. Als sie das Laken noch genauer untersuchte, entdeckte sie eine kleine feuchte Stelle. Die Flüssigkeit war aber eher schleimig, wie ein Tropfen Eiweiß. Das war also aus ihrem Körper gekommen, kein Urin. Mit einem Handtuch wischte sie alles weg und ging unter die Dusche.
    Aber sie tat das von da an jeden Tag, nach dem Schwimmen, vor dem Duschen, eine Art Ritual: Badeanzug ausziehen, dann mit dem Buch im Bett, immer mit der Geschichte vom Raub der Persephone, das Laken zwischen die Schenkeln geknüllt, so wie beim ersten Mal, immer die Beine aneinander gedrückt, immer mit einem Ohr horchend, ob Kehinde kam, immer außer Atem, wenn das Eiweiß heraustropfte. Und nun fragte sie sich – während sie ihre Weetabix zerdrückte, während Niké wieder schrie: »Das ist widerlich!« –, warum es ihr Lust bereitete, das zu tun? Wollte sie, dass Kehinde hereinkam? Sie wusste, dass sie ihn nicht hören würde, wenn er eintrat, in seinen roten, spitz zulaufenden Ninja-Lederpantoffeln. Kehinde konnte das. Ohne Vorwarnung erscheinen. Und obwohl sie das genau wusste, lag sie da im Bett, nackt, feucht, während er draußen schwamm.
    Sie legte ihren Löffel weg, spürte die Hitze in ihren Fingern. Kehinde drehte sich zu ihr, kaute auf der Unterlippe. Was sie fühlte, konnte sie an seinem Gesicht ablesen. Niké lachte höhnisch auf. »Schau ihn nur an!« Verdacht bestätigt. »Da sind übrigens noch andere Flecken«, rief sie und hielt das Laken wieder hoch. »Ihr denkt wohl, ich weiß nicht, was diese weißen Kleckse bedeuten?«
    Kehinde starrte Taiwo unverwandt an. »Was ist das?« Diese Frage galt seiner Zwillingsschwester, die den Blick abwandte.
    Niké dachte, er würde sich über sie lustig machen, ließ das Laken fallen und schlug ihn so hart ins Gesicht, dass er vom Stuhl kippte. Spontan sprang Taiwo auf. »Lass ihn in Ruhe!«, schrie sie und stieß Niké weg, versetzte ihr nur einen einzigen Stoß, doch Niké verlor das Gleichgewicht, taumelte in ihren Pantoffeln, in ihren plüschigen Pantoffeln mit den Puscheln, und landete rücklings auf dem Fußboden. Ihr Morgenmantel klappte auf und entblößte ihre fetten Oberschenkel, so dass der Houseboy, als er reinkam, das Glastablett fallen ließ. Taiwo packte Kehinde und zog ihn an sich. Auf einmal spürte sie, wie verletzlich und schutzlos sie hier waren. Etwas war zerbrochen. Die Hülle, die sie bisher umgeben hatte. Die Entfernung zwischen dem zweiten und dem vierten Stockwerk war weg.
    Wie Niké anfing zu schreien:
    Zeter und Mordio. Eine Irre. Niké schleifte sie zum Fahrstuhl und hinauf in die Lounge, wo sie gleich nach ihrer Ankunft hingebracht worden waren. Ende August hatte sie dieses Sammelsurium aus Marmor und Zebrafell und Samt das letzte Mal gesehen. Ihr Onkel ruhte auf einer Chaiselongue. In Unterwäsche mit einem Bademantel darüber. Babatunde, der kleine Houseboy, zog auf dem Tisch eine Linie. Onkel Femi kraulte ihm ganz nebenbei den Nacken, so wie man einen Hund streichelt. Zwei ältere Jungen standen an der Tür Wache, in weißen Matrosenuniformen, die aussahen wie Kostüme für ein Theaterstück. Aber mit Schusswaffen. Mit schlanken Gewehren, die sie an die Brust drückten. Als Niké hereingestürmt kam, sagten sie kein Wort und rührten sich auch nicht von der Stelle.
    »Na, so was, guten Morgen«, sagte Onkel Femi leise. Immer leise.
    Seine Frau schubste die Kinder zu dem Sofa, auf dem er lag. Babatunde blickte hoch, aber nur ganz kurz, dann widmete er sich wieder seiner Arbeit, er wusste genau, dass es besser war, wenn er sich nicht bemerkbar machte. Taiwo und Kehinde schauten ihren Onkel mit leeren Augen an, während ihre Tante hinter ihnen zischte: »Sagt es ihm. Sagt es ihm!«
    »Was sollen sie mir sagen?«, erkundigte sich Onkel Femi lächelnd und ehrlich interessiert. Er musterte die Zwillinge, als würde er sie jeden Tag sehen, als hätten sie sich erst gestern

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