Doktor Faustus
entsetzlich wirken an der Stelle, wo die vier Stimmen des Altars das Loslassen der vier Würgengel verordnen, welche Roß und Reiter, Kaiser und Papst und ein Drittel der Menschheit mähen, die Posaunen-Glissandi, die hier das Thema vertreten, – dieses zerstörerische Durchfahren der sieben Zugordnungen oder Lagen des Instruments! Das Geheul als Thema – welches Entsetzen! Und welch akustische Panik geht aus von den wiederholt vorgeschriebenen Pauken-Glissandi, einer Ton- oder Schallwirkung, ermöglicht durch die – hier während des Wirbels manipulierte – Verstellbarkeit der Maschinenpauke auf verschiedene Tonstufen. Die Wirkung ist äußerst unheimlich. Aber das Markerschütterndste ist die Anwendung des »Glissando« auf die menschliche Stimme, die doch das erste Objekt der Tonordnung und der Befreiung aus dem Urstande des durch die Stufen gezogenen Heulens war, – die Rückkehr also in diesen Urstand, wie der Chor der »Apokalypse« sie bei Lösung des siebenten Siegels, dem Schwarzwerden der Sonne, dem Verbluten des Mondes, dem Kentern der Schiffe in der Rolle schreiender Menschen grausig vollzieht.
Man lasse mich hier doch, wenn ich bitten darf, ein Wort einschalten über die Behandlung des Chores in dem Werk {544} meines Freundes, diese nie erprobte Auflockerung des Vokal-Körpers ins gruppenmäßig geteilte und verschränkte Widereinander, ins Dramatisch-Dialogische und in Einzelrufe, die allerdings den Antwort-Schlag »Barrabam!« aus der Matthäus-Passion zum klassisch entfernten Vorbild haben. Die »Apokalypse« verzichtet auf Orchester-Zwischenspiele; dafür gewinnt mehr als einmal der Chor einen ausgesprochen und erstaunlich orchestralen Charakter: so bei den Choral-Variationen, die den Lobgesang der den Himmel füllenden 144000 Auserwählten wiedergeben, wobei das Choralmäßige eben nur darin besteht, daß alle vier Stimmen ständig in demselben Rhythmus verlaufen, während das Orchester die reichsten kontrastierenden Rhythmen dazu- oder dagegensetzt. Die extrem polyphonen Härten dieses Stückes (und nicht dieses Stückes allein) haben viel Anlaß zu Hohn und Haß gegeben. Aber es ist ja nicht anders, man muß es hinnehmen, ich wenigstens nehme es in willigem Staunen hin: das ganze Werk ist von dem Paradoxon beherrscht (wenn es ein Paradoxon ist), daß die Dissonanz darin für den Ausdruck alles Hohen, Ernsten, Frommen, Geistigen steht, während das Harmonische und Tonale der Welt der Hölle, in diesem Zusammenhang also einer Welt der Banalität und des Gemeinplatzes, vorbehalten ist.
Aber ich wollte etwas anderes sagen. Ich wollte hinweisen auf die seltsame Klangvertauschung, die oft zwischen dem Vokal- und dem Instrumental-Part der »Apokalypse« statthat. Chor und Orchester stehen einander nicht als das Menschliche und das Dingliche klar gegenüber; sie sind in einander aufgelöst: der Chor ist instrumentalisiert, das Orchester vokalisiert, – in dem Grade und zu dem Ende, daß tatsächlich die Grenze zwischen Mensch und Ding verrückt erscheint, was sicher der künstlerischen Einheitlichkeit zustatten kommt, da es doch – wenigstens für mein Gemüt – auch etwas Beklemmendes, Gefährliches, Bösartiges an sich hat. Um ein paar Einzelheiten {545} aufzuweisen: Die Stimme der babylonischen Hure, des Weibes auf dem Tiere, mit welcher gebuhlt haben die Könige auf Erden, ist seltsam überraschender Weise dem graziösesten Koloratur-Sopran übertragen, und ihre virtuosen Läufe gehen zuweilen mit vollkommen flötenhafter Wirkung in den Orchesterklang ein. Andererseits gibt die verschiedenartig gedämpfte Trompete eine groteske vox humana ab, und das tut auch das Saxophon, das in mehreren der kleinen Splitter-Orchester eine Rolle spielt, welche die Teufelsgesänge, den schändlichen Liederreigen der Söhne des Pfuhls begleiten. Adrians Fähigkeit zu spottender Nachahmung, die tief in der Schwermut seines Wesens wurzelt, wird hier produktiv in der Parodie verschiedenster musikalischer Stile, in denen der insipide Übermut der Hölle sich ergeht: Klänge des französischen Impressionismus, ins Lächerliche gezogen, bürgerliche Salonmusik, Tschaikowsky, Music Hall, die Synkopen und rhythmischen Purzelbäume des Jazz, – wie ein Ringelstechen geht das bunt glitzernd rundum: über der Grundsprache des Haupt-Orchesters nämlich, die ernst, dunkel, schwierig, mit radikaler Strenge den geistigen Rang des Werkes behauptet.
Weiter! Ich habe noch soviel auf dem Herzen über das kaum schon
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