Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
für die Angst entschädigen, die sie in dieser Nacht in unserem Kerker ausstand!« Fernek bohrte seinen Zeigefinger in die Brust seines Sohnes, dann senkte er die Stimme, damit die neugierigen Gaffer nichts verstehen konnten. »Und wenn ich sage entschädigen, dann meine ich großzügig entschädigen! Ich will nicht wissen, was Ihr mit dem Weib angestellt habt, denn ich fürchte, es würde mir nicht gefallen!«
Ferinic verneigte sich leicht. Es war ihm anzusehen, wie widerwillig er sich in Bewegung setzte und auf Gerun zuging. Zu seinem Glück wurde jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Küche gelenkt. Aus der offenen Tür quoll eine dicke schwarze Qualmwolke und der Geruch von verbranntem Brot waberte über den Schlosshof. Kreischend rannten die Küchenmägde los, um zu retten, was noch zu retten war. Es war zu befürchten, dass es heute auf der königlichen Frühstückstafel nur Gebäck vom Vortag geben würde.
Der König seufzte tief auf, rückte den Kronreif auf seinem Kopf gerade und schlurfte zurück in den Palast. Die Reisigen und das restliche Gesinde sahen ein, dass die Vorstellung beendet war und zerstreuten sich, um sich ihrer morgendlichen Arbeit zuzuwenden. Zurück blieben nur Nadif, der noch immer zusammengesunken auf seinen Knien im Staub hockte, ein etwas ratlos scheinender Haushofmeister, Gerun und der Prinz.
Ferinic nestelte seine Börse vom Gürtel. Wie es sich für einen Königssohn gehörte, war sie prall gefüllt. Er wog den Geldbeutel nachdenklich in seiner Hand und betrachtete die junge Frau, die mit gesenktem Kopf vor ihm stand. Sie sah entzückend aus in ihrer deutlich sichtbaren Verzweiflung. Einige ihrer hellbraunen Haarsträhnen hatten sich unter der Haube hervorgestohlen und kringelten sich an ihrem schlanken Hals. Der Prinz spürte schon wieder das wohlbekannte Pochen in seinen Lenden.
»Du musst nicht mit diesem verbrannten Monster dort in die Wüste ziehen, Gerun!«, schmeichelte er sanft. »Wenn du meine Kammerjungfer wirst, könnten wir viel Spaß miteinander haben!«
»Quält mich nicht, Hoheit!«, flüsterte Gerun, ohne den Blick zu heben. Ferinic gab ein abfälliges Geräusch von sich und schob seine Börse in Geruns Stoffbündel. Dann zog er plötzlich Geruns rechte Hand zu sich. Sie erschauerte, als er ihren Handrücken erneut mit den Lippen berührte.
»Ich weiß, dass du unsere Nacht nicht vergessen wirst!« Abrupt drehte er sich um und schritt schnell davon. Gerun starrte auf ihre Hand. An ihrem Ringfinger steckte ein kostbarer Goldring, mit feinen Mustern ziseliert und mit einem funkelnden Rubin gekrönt. Er war viel zu groß, natürlich, er war ja für einen Mann mit starken Händen gemacht. Die junge Frau sah endlich auf, aber Ferinic war längst im Inneren des Schlosses verschwunden. Ein Pferdebursche führte gerade zwei Zossen über den Hof. Man konnte sehen, dass die Satteltaschen prall gefüllt waren.
Gerun zog den Ring von ihrem Finger und schob ihn in die kleine Tasche an ihrem Gürtel, in der sie Nähnadeln, eine Schere, ihr Speisemesser und ihren Löffel aufbewahrte. Nadif kauerte noch immer auf dem Boden, seine wimpernlosen Lider waren geschlossen. Gerun ging auf ihn zu, er war der Mann, der nun zu ihrem Schicksal geworden war. Sie ahnte, dass Nadif nicht mehr der lebenslustige Bursche war, der ihr im Bett so viel Freude bereitet hatte, sie hatte einen Krieger vor sich, der schon einen Blick in die Schrecken der Unterwelt geworfen hatte. Und die Mittelwüste war beileibe kein Ort, zu dem man sich hinsehnte.
Sie beugte sich zu ihm nieder und griff nach seinen Händen.
»Komm!«, sagte sie sanft. Er öffnete die Augen und blickte ihr ins Gesicht. Doch, dort hinter dem Schleier, der seine Pupillen trübte, erkannte Gerun den Nadif, den sie liebte. Sie lächelte und half ihm auf, schob sich unter seine Achsel, um ihn zu stützen.
»Hilf den beiden auf die Gäule!«, befahl der Haushofmeister dem Pferdejungen.
Die Pferde waren alt, aber gesund und wohlgenährt. Gerun und Nadif querten Seite an Seite den Hof, die Wächter öffneten ihnen das Tor. Nadif zuckte ein wenig zusammen, als ein lautes Krachen verriet, dass hinter ihnen der schwere Riegel wieder vorgelegt wurde. Bedächtig setzten die Pferde Huf vor Huf, sie hatten keine Eile, ebenso wenig wie ihre Reiter. Weder Gerun noch Nadif sahen sich nach den Mauern des Königsschlosses um, die langsam hinter ihnen zurückblieben.
11.Kapitel: Der Flug des Drachens
Reichlich verschlafen nippte
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