Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
irgendwie recht. Ein Hungerstreik von einigen Minuten würde weder Hanad noch den Onkel beeindrucken. Dann wollte sie lieber bei Kräften bleiben und dem Sklavenhändler bei späterer Gelegenheit entwischen.
»Was hatte dieses entzückende Vögelchen für eine Profession, bevor sie dir in die Hände fiel, Kajim?« Der Händler schaute den Onkel Kana-Tus erwartungsvoll an. Er brachte es fertig, an seinem Fleisch zu kauen, während er sprach.
»Ich bin die Prin ...«, setzte Janica anstelle des alten Mannes zu einer Antwort an. Doch da war Kana-Tus Hand wieder. Er kniff heftig zu. Janica unterbrach sich mitten im Wort. Was hatte er gesagt? Niemand sollte wissen, dass sie die Tochter Ferneks war!
»Ich war die Zofe der Prinzessin!«, rettete sie schließlich die Situation. Gerun würde ihr diese Anmaßung verzeihen, dachte Janica wehmütig.
»Zofe? Das erklärt, wieso du unsere Sprache sprichst! Wie vorteilhaft!« Hanad schmatzte widerlich. Für Janica blieb die Schlussfolgerung, dass die Alte Sprache offenbar ihren Ursprung im Wasserland hatte und von Kajim und Hanad nicht nur der einfacheren Verständigung unter Händlern halber gesprochen wurde. Also war es eine Lüge ihres Lehrers gewesen, als er behauptete, das Volk, das diese Sprache gebrauchte, sei längst ausgestorben. Sie kam sich langsam vor wie in einem Spinnenetz aus lauter Unwahrheiten.
»Andererseits war es im vorigen Jahr auch nicht schlecht, dass die Gänsemagd, die ihr mir gebracht habt, kein Wort verstanden hat. Der Käufer war begeistert, endlich eine Frau kennenzulernen, die ihm nicht ständig widerspricht. Er hat sie inzwischen geheiratet, jetzt gebietet sie an seiner Seite über ein riesiges Landgut.«
»Der Sultan hat das Mädchen nicht selbst behalten?« Kana-Tu hob seine Brauen, als wäre er erstaunt über diese Auskunft.
»Der Ehrwürdige Händler muss jeden Sklaven, den er verkaufen will, zunächst dem Herrscher des Wasserlandes anbieten. Der Sultan entscheidet dann, ob er den Sklaven für einen symbolischen Preis selbst behält, oder ob Hanad ihn für gutes Geld weiterverkaufen darf.«, erklärte er, an Janica gewandt.
»Ich fürchte, heute werde ich ein schlechtes Geschäft machen!«, seufzte der Händler zwischen zwei Bissen. »Dieses Mädchen hier ist ein wahrer Augenschmaus, etwas ganz anderes als die grobknochige Gänsemagd. Sicher wird sie mein Gebieter für seinen Harem haben wollen. Mir bleiben doch immer nur die Brosamen!«
»Mir bricht schier das Herz, Hanad! Hoffentlich musst du nicht Hungers sterben!«, murmelte Kana-Tu, diesmal in der Sprache des Westlichen Reiches, derer der Händler offenbar nicht mächtig war. Kajim warf seinem Neffen einen grimmigen Blick zu, und Janica hielt sich die Hand vor den Mund, damit ihr Grinsen nicht allzu offensichtlich wurde.
»Nun gut, Kajim! Dein Essen ist wie immer vorzüglich, aber mich rufen meine Pflichten! Zählst du nach?« Der Sklavenhändler wischte sich die fettigen Finger an seiner Hose ab und erhob sich. Er nestelte aus seinem Gürtel einen Beutel und stellte ihn vor Kajim auf den Tisch. Janica glaubte das leise Klingen von Goldstücken zu hören. Sie bedauerte, dass Kana-Tus Onkel keinerlei Anstalten machte, die Börse zu öffnen. Zu gern hätte sie gewusst, was eine Portion Drachenfutter wert war. Im Gegenteil, er lehnte sich zurück und hob abwehrend die Hände.
»Ich vertraue dir, Ehrwürdiger Händler! Du hättest keinen Nutzen davon, wenn du versuchen würdest, mich zu betrügen!«
»Ma Che, es ist Zeit, Abschied zu nehmen!« Kana-Tu zog Janica von ihrem Stuhl hoch. »Hanad Gur Hanadem wird dich jetzt mitnehmen!«
Janica fröstelte plötzlich, obwohl es im Raum schwülwarm war. Suchend sah sie sich um. Gab es wirklich keinen Ausweg? Und warum sagte Kana-Tu zu dem fetten Händler nicht einfach: »Nein, das war alles bloß Spaß, wir behalten das Drachenopfer in diesem Jahr selbst?«
Verdammte Männer!
Sie hatte nicht bemerkt, dass Kana-Tu hinter sie getreten war. Deshalb überraschte sie sein Griff nach ihren Unterarmen völlig. Er packte fest zu und zog ihre Arme nach hinten.
»Es tut mir leid, Ma Che!«, flüsterte er in ihr Ohr. Janica spürte kaltes Metall um ihre Handgelenke und hörte ein Klicken und das Rasseln einer dünnen Kette. Jetzt war sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen an den Händler gebunden, denn das andere Ende der Kette endete in einem Ring, durch den sein Gürtel führte. Sie hatte diesen merkwürdigen Metallkram für Zierrat gehalten,
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